Weil er fürchtete, erneut verhaftet und gefoltert zu werden, floh Apti Bisultanow aus Tschetschenien. Über Deutschland sagt der Schriftsteller: „Für mich ist es das beste Land, das man gegenwärtig finden kann.“

Apti Bisultanow ist einer der wichtigsten Autoren aus Tschetschenien. Der 55-Jährige unterstützte den Unabhängigkeitskampf der russischen Teilrepublik gegen Moskau, der zu einem Krieg von 1994 bis 1996 und noch einmal von 1999 bis 2005 eskalierte. Kurz vor Kriegsende verließ er die Heimat, voller Sorge, wegen seiner schweren Verletzungen den Besatzern nicht mehr genug entgegensetzen zu können.

„Ich hatte Angst, in diesem Zustand geschnappt und nochmal gefoltert zu werden. Ich habe schon einmal Folter erlebt. Im ersten Tschetschenienkrieg hat man mir alle Zähne ausgeschlagen. In solch einer Situation wird der Mensch zu etwas getrieben, was er bereut, und das wollte ich nicht. Ich wollte nicht zum Verräter werden.“

Der Dichter lebt seit 2003 in Berlin, wo er die ersten Verse in der Fremde schrieb. Wenn der tschetschenische Poet lesen möchte, braucht er eine große Lupe. Während der Bombardements im ersten Tschetschenienkrieg wurde er fast blind. Er vermutet, dass Giftgas im Einsatz war. Die Kämpfe und Verwundungen lassen den 55-Jährigen gut zehn Jahre älter aussehen. Vor allem, wenn ihn die Vergangenheit aus dem Gleichgewicht wirft, er nur noch Schwarz sieht. Apti Bisultanow, der die deutsche Sprache eigentlich gut gelernt hat, vergisst in diesen dunklen Momente dann fast alles.

„Ich schreibe Gedichte und ich schreibe Essays. Ich möchte in einer reichen Sprache sprechen, wie ein Poet, ein intelligenter Mensch, die Deutschen sollen mich nicht in einer schrecklichen, reduzierten Sprache hören. Ich spreche kein Hochdeutsch.“

Die aktuellen Bilder der vielen Flüchtlinge vermengen sich in seinem Kopf mit den Kolonnen, die durch Tschetschenien zogen. Eine Freundin von ihm hatte damals seine Gedichtsammlung in ihrem Fluchtgepäck. Den kleinen Band hat eine Kugel zerfetzt, vorsichtig streicht er über die beschädigte Ecke.

Eine Katastrophe für beide Seiten

»Diese Katastrophe jetzt ist unvorstellbar. Eine Katastrophe für beide Seiten. Für die Flüchtlinge und für die europäischen Länder. Ich muss bei den Bildern sehr vorsichtig sein. Mein Arzt sagte mir, dass ich sie möglichst nicht ansehen sollte, weil ich davon krank werde, sehr auf sie reagiere.«

Vor zwei Jahren beschloss der tschetschenische Schriftsteller, in Deutschland zu bleiben. Die meisten Menschen, die ihm nahestanden, seien inzwischen tot. Seine Kinder befänden sich in Berlin, seine Zukunft sei hier. Apti Bisultanow empfindet für sein Gastland, das er sich nicht ausgesucht hat, Dankbarkeit. Er habe mit Deutschland einen Vertrag geschlossen, nicht schriftlich, ohne Zeugen, aber nicht weniger gültig.

„Ich fühle mich Deutschland verpflichtet. Für mich ist es das beste Land, das man gegenwärtig finden kann. Ich als Moslem habe mir geschworen, diesem Land nie etwas Böses anzutun, mich an etwas zu beteiligen, das diesem Land schaden könnte.“

Tod und Alter sind die Themen, die ihn nicht loslassen. Für den tschetschenischen Schriftsteller haben sie viel mit seiner Heimat zu tun, ein Begriff, den er für sich ganz neu definiert. „Ich verstehe Heimat eher als eine Art Pflicht“

„Für mich sind das nicht Steine, Flüsse, Büsche oder Wälder, Landschaften. Unter Heimat verstehe ich vielmehr eine Idee. Das Schicksal des Volkes, in das ich hineingeboren wurde. Die Geschichte, der Kampf meines Volkes, das ist meine Heimat. Ich verstehe Heimat eher als eine Art Pflicht. Alles andere ist Gewohnheit wie bei einem Tier, das zu der immer gleichen Wasserstelle geht. Weil es sie kennt und gewohnt ist, selbst wenn es ein Stück weiter andere Wasserstellen finden könnte.“

Fühlen Sie sich inzwischen in Deutschland zuhause?

„Natürlich. Deutschland ist meine Heimat, jetzt. Mein Land, meine Leute, mein Leben. Dieses Land gab mir, was mir kein anderes Land gab. Es hat mir ein Dach über den Kopf gegeben, es hat mich geschützt, hier habe ich die Menschen, die ich liebe. Was für mich in Berlin am schönsten ist, ist der Himmel in der Nacht, weil das der schönste Himmel der Welt ist.“

Wie lange hat es gedauert anzukommen?

„Ich lebte lange hier, als wäre ich nur auf Zeit hier. Aber eines Tages verstand ich: Das wird für immer sein. Das war vor ein, zwei Jahren. Ich fand eine neue Wohnung, ich wusste, hier bleibe ich.“

Hat die neue Heimat Sie verändert?

„Ich habe mich verändert. Ich bin gut geworden. Alle meine Aggression ist weg. Das ist, weil ich frei bin. Im Gefängnis sind alle aggressiv, unsere Heimat war ein Gefängnis. Jetzt kann ich sogar den Nachbarn anlächeln.“

Was ist Ihr Lieblingsort? Wo ist er?

„Das ist S-Bahnhof Bornholmer Straße. Ein Memorial, wo 1989 zum ersten Mal die Mauer geöffnet wurde. Dieser Moment, dass die Mauer durchbrochen wurde, gibt mir das Gefühl, dass ich wieder frei bin. Große Hoffnung.“

Wollen Sie hier alt werden?

„Ja. In letzter Zeit denke ich oft an den spanischen Poeten Juan Ramon Jimenez. Er wollte nicht in sein Land zurück, weil sein Heimatland ihn erniedrigt hat. Mir gefällt er als alter Dichter besonders gut, das, was er über das Sterben sagt: Ich möchte sterben, wie ein Blatt im Herbst, das leise zur Erde schwebt.“

Mehr zum Thema: Neues Zuhause. Geschichten vom Ankommen – Alle Beiträge zum Nachhören und Nachlesen. Dank an Sabine Adler.