Seit einem Jahr beherbergt die Luzerner Hof-Pfarrei eine Mutter und ihr Kind, die illegal in der Schweiz sind. Doch am Montagnachmittag wurde das Kirchenasyl von der Polizei beendet. Kirchen-Vertreter protestieren beim Amt für Migration.

Am Montag tauchte die Polizei an der Schule der 11-jährigen D. auf. Das Mädchen aus Tschetschenien wurde abgeholt, um zusammen mit seiner Mutter (53) – die ihrerseits von den Behörden auf offener Strasse aufgegriffen worden war – nach Belgien abgeschoben zu werden. Dort hatten die beiden vor Jahren erstmals ein Asylgesuch gestellt. Gemäss dem Dublin-Abkommen sollen sie nun dorthin zurück geschickt werden.

Genau dies versucht die Pfarrei St. Leodegar, zu der die Luzerner Hofkirche gehört, seit einem Jahr zu verhindern. Die Pfarrei gewährte der Mutter und ihrer Tochter sogenanntes Kirchenasyl, beherbergte und versorgte die beiden auf eigene Kosten. Ziel war es, sie so lange zu betreuen, bis sie in der Schweiz offiziell Asyl erhalten. Die Bearbeitung des Schweizer Asylgesuchs wäre ab dem 14. November möglich gewesen – also in drei Tagen. Doch dazu kommt es wegen der Verhaftung nicht. Dagegen haben am Montagnachmittag Vertreter der Katholischen Kirche am Sitz des Luzerner Migrationsamts protestiert.

Vor Ort waren am Montag rund 20 Personen, die ein Gespräch mit Alexander Lieb, Leiter des Amts für Migration, forderten. «Das Kind ist sehr verletzlich und traumatisiert. Insofern ist die Familie besonders schutzbedürftig», sagt Nicola Neider, Bereichsleiterin Migration/Integration des Pastoralraums Luzern. Deshalb versuchten die Kirchenvertreter eine Ausschaffung um jeden Preis zu verhindern. «Wir haben eine einvernehmliche Lösung mit den Behörden gesucht, leider haben diese sich heute dagegen entschieden», so Neider.

Luzerner wollten in Belgien vermitteln – vergeblich

Besonders tragisch sei, so heisst es weiter, dass Mutter und Tochter im April 2018 bereits einmal nach Belgien abgeschoben worden seien. Weil sie dort entgegen der Versprechungen der Behörden keinerlei Unterstützung erhielten und «ohne Unterkunft, Schutz und Geld sich selbst überlassen wurden», kamen sie in die Schweiz zurück. Für die Kirchenvertreter ist klar: Gelangen die beiden nach Belgien, werden sie von dort nach Tschetschenien ausgeschafft.

Vor der ersten Ausweisung hatte die Luzerner Kirchgemeinde noch angeboten, selber für eine sichere Unterkunft in einer kirchlichen Institution in Belgien zu sorgen. Doch das wurde von den dortigen Behörden abgelehnt – und in der Schweiz wollte man sie auch nicht. Ein Wiedererwägungsgesuch scheiterte mit Verweis auf das Dublin-Abkommen. Im Communiqué der Kirchgemeinde heisst es: «Als sich Justizdirektor Paul Winiker kurz vor Ablauf der Ausreisefrist weigerte, eine Delegation der Katholischen Kirche als Petitionäre zu empfangen, die darum baten, die gewaltsame Ausschaffung zu stoppen, entschieden sich die Verantwortlichen der Pfarrei St. Leodegar in Rücksprache mit dem Kirchenrat für das Kirchenasyl.»

Mahnwache vor dem Polizeigebäude

Bei ihrem Protest im Amt für Migration erhielten die Kirchenvertreter die Möglichkeit mit Alexander Lieb zu sprechen, dies jedoch unter Ausschluss der Presse. Das Gespräch habe keine neuen Erkenntnisse gebracht, heisst es von den Beteiligten auf Nachfrage. Die Stellungnahme seitens des Kantons Luzern steht noch aus. Am Montagabend führten die Kirchenvertreter und Sympathisanten vor dem Polizeigebäude an der Zähringerstrasse in Luzern eine Mahnwache durch.

Ruedi Beck, Pfarrer von St. Leodegar, der die Verantwortung für das Kirchenasyl trägt, war wegen der sich überstürzenden Ereignisse beim Protest nicht vor Ort. Am Telefon sagt er, die äusserst bewegte Vorgeschichte wie auch die Situation des Kindes, das traumatisiert sei, habe den Ausschlag für das Kirchenasyl gegeben. «Ich hoffe, dass es eine positive Zukunft für Mutter und Tochter gibt, und dass diese Ausschaffung keinen riesigen Rückschlag bedeutet.»

Kirche steht zu «zivilem Ungehorsam»

Erst vor einem Jahr hat die Katholische Kirchgemeinde der Stadt Luzern ein Grundsatzpapier zum Thema Kirchenasyl verabschiedet. Dort steht, Kirchenasyl sei «eine Form von zivilem Ungehorsam». Damit jemand von Kirchenasyl profitieren kann, müssen strenge Kriterien erfüllt sein. So müssen die Betroffenen durch eine Ausschaffung an Leib, Leben und Freiheit gefährdet sein. Auch «unzumutbare Härten» wie die Trennung von Eltern und Kindern können ein Asylgrund sein.

Zentral ist gemäss dem Papier, dass sämtliche Alternativen zuvor abgeklärt worden sind. Kirchenasyl sei die Ultima Ratio und dürfe keineswegs zur Regel werden, heisst es. Zudem sei klar, dass diese Form von Asyl nur vorübergehender Natur sein könne. Sie könne aber helfen, Zeit zu gewinnen – und den Behörden die Chance zu geben, die Situation nochmals zu beurteilen. Die Behörden werden von Beginn weg ins Bild gesetzt und wissen auch immer, wo die Person untergebracht ist. Bevor Kirchenasyl gewährt wird, muss der betreffende Fall durch eine juristische Fachperson intern geprüft werden.

Den Entscheid und damit auch die Hauptverantwortung für das Kirchenasyl liegt beim Pfarreileiter. Die Kosten für die Unterbringung der Asylsuchenden wird von der Pfarrei übernommen. Allerdings dürfen dafür keine Kirchensteuer-Gelder verwendet werden.