Ausgerechnet an dem Tag, als Generalstaatsanwaltschaft Juri Tschajka die Hoheit über alle Strafermittlungen in Russland und damit über 60.000 Fälle an den Inlandsgeheimdienst FSB abtreten musste, verkündete er einen letzten Fahndungserfolg. Die Mörder der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja seien gefasst. Sie hätten im übrigen nicht nur die Starreporterin, sondern auch noch den Zentralbank-Vize Andrei Koslow sowie den Chefredakteur der russischen Ausgabe der Zeitschrift Forbes, Paul Klebnikov, erschossen.
Beweise konnte Tschajka, der schon als Justizminister keine gute Figur machte und seit Jahren unauffällig den treuen Vasallen von Kremlchef Wladimir Putin gibt, bislang nicht vorlegen. So sitzen zwar insgesamt elf Menschen, darunter fünf Mitarbeiter der russischen Miliz und des FSB, in Untersuchungshaft. Als Auftragskiller sollen drei tschetschenische Brüder gemordet haben. Die Inhaftierten bestreiten jedoch bislang, zu einer Killertruppe zu gehören, die, wie Tschajka ausführte, in Russland, Ukraine und Lettland aktiv war.
„Wie mir mein Mandant mitteilte, haben die Ermittler aus ihm ein Geständnis geprügelt. Sie haben ihm eine Flasche über den Kopf geschlagen und gesagt, sie wollten ihn noch mit dem Bügeleisen traktieren“, erhob der Anwalt Murad Musajew, der einen der Tschetschenen vertritt, schwere Foltervorwürfe. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Aussage berichten Amnesty International und Human Rights Watch von regelmäßigen Folterungen auf russischen Milizwachen und in Gefängnissen.
220 ermordete Journalisten
Die russische Öffentlichkeit scheint jedoch trotz der Ausführungen Tschajkas nicht vollends davon überzeugt zu sein, dass es sich um die Täter handelt. Zum einen hat sie den Glauben verloren, dass in Russland fair und sauber ermittelt wird. Zum anderen hatte sich die Generalstaatsanwaltschaft in den Mordfällen Klebnikov und Koslow längst auf andere Täter festgelegt.
Mysteriöse Feinde Russlands im Visier
Das ist insofern erstaunlich, da Politkowskaja wie wenige Journalisten in Russland offen Präsident Putin für dessen Kaukasuspolitik kritisierte und regelmäßig als Reporterin für ihre Zeitung „Nowaja Gaseta“ über Gräueltaten der Todesschwadrone des tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrow berichtete. Der stieß sogar in aller Öffentlichkeit Drohungen („Du wirst den morgigen Tag nicht erleben“) gegen sie aus. Warum er nicht als Verdächtiger fungiert, ist unklar.
Tschajka setzt auf die Kremllinie, mithin eine Verschwörungstheorie, die da lautet: Feinde Russlands haben Politkowskaja und die anderen ermordet, damit ein schlechtes Licht auf Putin fällt. Der Tod Politkowskajas sei „den Strukturen und Leuten nützlich, die es auf eine Destabilisierung der Lage im Land absehen, auf eine Veränderung der verfassungsmäßigen Ordnung, die Russland in eine Krise stürzen und das Land in eine Herrschaftssystem überführen wollen, wo Geld und die Oligarchen alles entscheiden“, so Tschajka.
Russische Medienbeobachter waren sich darin einig, dass damit Tschajka den emigrierten Ex-Tycoon Boris Beresowski meinte. Der fühlte sich auch angesprochen und teilte aus seinem Exil in London mit, die Generalstaatsanwaltschaft, die ohnehin auf seine Auslieferung dringt, kenne eben nur ihn im Ausland. Bereskowski, der als graue Eminenz im Kreml unter Boris Jelzin Putin hoffähig machte, ist inzwischen einer der härtesten Putin-Gegner. Er wirft dem Kremlchef vor, ein verbrecherisches Regime installiert zu haben.
Die „Nowaja Gazeta“ begrüßte zwar die Festnahmen und dankte den Ermittlern für die professionelle Arbeit. Ganz scheint sie den Ergebnissen dennoch nicht zu trauen. Die Zeitung, für die Politkowskaja jahrelang tätig war, will ihre eigenständige investigative Untersuchung des Mordfalls fortsetzen.
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