Günter Grass. Foto: Michael Gottschalk

„Doch ist es zuallererst das rechte Lager gewesen, das Hitler und den Nationalsozialismus möglich gemacht, emporgetragen oder geduldet hat. Die Großindustrie gab das Geld, die Kirchen gaben den Segen, die Massen liefen mit.“ (Günter Grass)

Mit nahbei 80 Jahren veröffentlicht Günter Grass im Jahr 2006 den autobiographischen Roman „Beim Häuten der Zwiebel“. Zum Bestseller wurde das große Alterswerk auch deshalb weil der Literaturnobelpreisträger hier erstmals deutlich seine kurzzeitige Mitgliedschaft bei der Waffen SS bekennt. Viel wichtiger erscheint mir aber, dass in diesem Roman der freiwilligen Kriegsteilnahme des 15jährigen auf den Grund gegangen wird, Erklärungen gesucht werden. Mitgeholfen hat zweifelsfrei die „Wochenschau“ ein bedeutendes Propaganda Medium der Nazis. Der spätere Schriftsteller hat die wenigen Tage die er im Kriegseinsatz verbringen musste nur durch Zufall überlebt und dabei traumatisierende Erlebnisse in Folge gehabt. („Wer einzelne Tote und Tote zuhauf gesehen hat, dem gilt jeder weitere Tag als Gewinn.“) Auch seine aus Danzig vertriebene Familie war Opfer von Kriegsverbrechen. („Mehrmals erlittene Gewalt hatte die Mutter verstummen lassen. Sie war gealtert, kränkelte bereits. Wenig war von ihrer Heiterkeit und Spottlust geblieben.“) Sich freiwillig in den Krieg der Nationalsozialisten zu begeben klingt aus heutiger Sicht ähnlich unverständlich, wie eine gewollte Rekrutierung für die Verbrecherorganisation „Islamischer Staat“. Erst später, viel später wurden die Aufrufe gegen Faschismus und Rechtsextremismus des Kriegsüberlebenden beispielhaft. Günter Grass war ein begnadeter Schriftsteller, ein überzeugter Sozialdemokrat und vor allem jemand dem der kapitalistische Geldadel widerlich war. 1999 erfolgte spät, aber nicht zu spät, der Nobelpreis für Literatur.
Dieser war seit vier Jahrzehnten vorbestimmt, als Grass Oskar Mazerath erfand, welcher trommelnd und glaszersingend die Zeit des Nationalsozialismus er- und überlebte. „Die Blechtrommel“ ein Roman der bleiben wird, so wie Goethes Faust gegenwärtig geblieben ist. Der sprechende „Butt“ wird ein weiterer Meilenstein und abgesehen vom Vatertags Kapitel ein mit Humor und Ironie sprühendes Wort- und seitengewaltiges Werk. Und obwohl „Die Rättin“ beim erscheinen auch Kritik einstecken musste (Reich-Ranicki war Grass nicht immer wohlgesonnen…) bleibt der Untergangsroman der achtziger Jahre auch heute aktuell und wie zeitlos. Nicht nur als Erzähler, Grass war uns in allen Dichtungsrichtungen beispielgebend: „Die Plebejer proben den Aufstand“ ist sein bekanntestes Drama und in der Lyrik gelangen ihm Satzperlen ohne Ende: „Seine Leichtigkeit machte Säulen arbeitslos.“

Bleibt das lebenslange Engagement des Schriftstellers für Minderheiten und zur Flucht gezwungene Menschen zu erwähnen. Die europäische Flüchtlingspolitik der Gegenwart wäre ihm unerträglich. Wie schön, dass Grass über Jahrzehnte hinweg immer noch ein weiteres Buch geschrieben hat und es Themen zuhauf gegeben hat die abgearbeitet werden mussten. Jemand, der zweifelfrei ich bin, liest seit Jahren, Seite auf Seite, Buch nach Buch das Werk von Günter Grass ohne dabei zu ermüden. Es ist mir vorbildlich geworden und jedenfalls wert es immer wieder neu zu erforschen. Am 13. April 2015 ist Günter Grass gestorben, ging einfach davon, ohne Nachfolge zu finden.

Sigi Stupnig, Verein Inklusionsinitiative