Seinen letzten großen Roman hat Günter Grass, Wort nach Wort, im hohen Alter von 83 Jahren präsentieren dürfen. Grimms Wörter – 2010 erschienen – ist nicht nur, wie im Untertitel bekundet, eine Liebeserklärung ans Schreiben – sondern eine letzte und wirkungsvolle Impfung gegen Fake News, Rechtsextreme und niederträchtige Nationalisten – welche uns der Literaturnobelpreisträger von 1999 hinterlassen hat. Während sich konservative Kritiker die den Einsatz von Günter Grass für einen demokratischen Sozialismus („Für Willy“) nicht verstehen wollten, sich späterhin mit ihrer Kritik am Gedicht „Was gesagt werden muss“ (Grass hatte die rechte israelische Regierung kritisiert) abarbeiteten, wurde sein letzter Roman ein würdiger Schlussstrich und bildete zudem den Abschluss seiner dritten Romantrilogie. Beim Häuten der Zwiebel, Die Box und Grimms Wörter bilden die autobiographische Trilogie und stehen am Ende des Schaffens von Grass. Am Anfang stand die „Danziger Trilogie“ mit dem Erstlingsroman „Die Blechtrommel“. Die 70er und 80er stehen für die Märchentrilogie und brachten mit „Der Butt“ ein weiteres Buch (nach der Blechtrommel) das bleiben wird, sofern Bücher bleiben werden. Immer wieder hatte – so auch in Grimms Wörter – der Jahrhundertschriftsteller die laufend noch strenger werdenden Asylgesetze kritisiert. Den „brutalen Umgang“ mit Asylsuchenden wertete Grass als „Rückfall in die Barbarei“. Wie wohl würde Grass auf den beschämenden Umgang mit Flüchtlingen an der kroatisch-bosnischen Grenze, auf den griechischen Inseln, in Lybiens Folterlagern… und auf die verlogene und steil rückwärtsgewandte Einstellung der konservativen Politikerelite zu diesen Missständen reagieren? Von den stumpfsinnigen Rechtsradikalen die von Schießbefehlen an den Grenzen fantasieren beeinflusst, bleiben viele kritische Stimmen still. Was laut werden muss, wird nicht mehr gesagt. Günter Grass fehlt. Brandt und Kreisky fehlen. Die Sozialdemokratie wird schmerzlich vermisst. Was Grass einst über seinen „Lehrer“ Döblin schrieb, kann man getrost heute über ihn selbst schreiben: „Er wird Sie beunruhigen; er wird Ihre Träume beschweren; Sie werden zu schlucken haben; er wird Ihnen nicht schmecken; unverdaulich ist er, auch unbekömmlich. Den Leser wird er ändern. Wer sich selbst genügt, sei vor Grass gewarnt.“
Grimms Wörter ist ein wortgewaltiges Schlusswerk im Schaffen des Schriftstellers, dass mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Blechtrommel noch einmal Einblick in die aufwändige Manuskriptarbeit von Grass gewährt. Schon beim Verfassen des Romans wusste er das es sein letzter bleiben würde: Grass zieht seine Lebensbilanz, was alles gelungen, was alles misslungen ist. Und er macht sich Gedanken über den Tod, über die eigene Vergänglichkeit sowie über das Sterben von Freunden. Die Zukunft sah der Schriftsteller nicht mehr so rosig, die zunehmende Korruption, das Schwinden von Grund – und Bürgerrechten auf Kosten von „Sicherheit“, der Abbau des Sozialstaates und vieles mehr waren Themen die Grass zeitlebens in Bann hielten. Was Grimms Wörter noch auszeichnet ist wiederum das Einfließen lyrischer Momente (wie schon im Butt oder der Rättin) und schließlich ist es ein moderner Bildungsroman im weitesten Sinn und jedenfalls ein sinnlicher Wortgenuss.
Sigi Stupnig, Verein Inklusionsinitiative