Von Roman Dietinger

„Felsen“ wird die Justizanstalt Stein in Krems genannt. In der war Ali Chaciev eingesperrt. Roman Söllner kennt sie gut. Er ist Bundesvorsitzender der Sektion Justiwache AUF/FEG und Gemeinderat für die FPÖ in Hadersdorf-Kammern (NÖ). „News“ berichtete 2014 über seine Suspendierung als Abteilungsleiter der Justizwache. Anlass war die Vernachlässigung eines „74-jährigen psychisch kranken Mannes, der in seiner Zelle in der Justizanstalt Krems-Stein so lange unversorgt gewesen sein soll, bis er „Verwesungsgeruch“ verströmt hätte“. Das Magazin bezog sich dabei auf einen Artikel in der Wochenzeitschrift “Falter“, wonach interne Dokumente aus den Gefängnissen Stein, Suben, Karlau, Klagenfurt und Wien zeigen würden, „wie Häftlinge schwer vernachlässigt, Insassen von Beamten misshandelt und kriminelle Beamte protegiert werden“. Der damalige Justizminister Wolfgang Brandstätter hätte sich „betroffen und zornig“ gezeigt. „Ab sofort“ gäbe es „engmaschigere Kontrollen“. Man müsse die “massiven Schwächen“ „ausmerzen“.

Heute, sieben Jahre später, ist die Grüne Alma Zadic Justizministerin und Wolfgang Brandstätter hat inzwischen andere Probleme. Roman Söllner scheint wieder als Justizwachebeamter tätig zu sein. Am 21.01.2020 erschien auf NÖN.at ein Bericht mit dem Titel „FPÖ-Mann mit Nazinummer“. Ein Foto zeige ihn „mit der Startnummer 88. Der Code „88“ gilt in Nazikreisen als Synonym für „Heil Hitler““. Es hätte ihm eine Vorladung ins Ministerium eingebracht. Eine Sprecherin des Justizministeriums hätte mitgeteilt, dass „eine „Einvernahme des betroffenen Justizwachebeamten“ anberaumt worden“ sei. „Vor Ergebnis dieser Stellungnahme könne man aber keine weitere Auskunft erteilen.“  Die Antwort auf eine im Rahmen der Recherche zu diesem Artikel gestellte Anfrage an das Justizministerium zum Stand des Ergebnisses dieser Einvernahme (23.04.2021) war wenig erhellend. In Hinblick auf die „Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten und die eng gezogenen Grenzen des Datenschutzes“ bitte man um Verständnis, dass „keine Auskünfte zu Ermittlungsergebnissen“ erteilt werden dürften.

Staatsmeister Ali Chaciev (Foto: privat)
Staatsmeister Ali Chaciev (Foto: privat)

 

Was ist geschehen?

Alis Vater Zeudi Chaciev erzählt, dass er von einem Sozialarbeiter der Justizanstalt Stein angerufen worden sei: „Es tut mir leid. Ihr Sohn ist tot.“ Weitere Auskünfte zum Ableben des Sohnes hätte er nicht erhalten. Auch im Klinikum Krems, in das Ali eingeliefert worden war, hätte er keine angemessenen Informationen einholen können. Nur so viel: Ali habe zum Zeitpunkt seiner Einlieferung noch gelebt. Er sei sehr stark ausgekühlt gewesen und hätte eine schwere Herzrhythmusstörung bekommen. Drei Stunden nach der Einlieferung sei er gestorben. Reanimationsversuche seien erfolglos geblieben.

Herrn Chaciev sei der Name des behandelnden Arztes nicht bekannt gegeben worden. Auch den Grund für die Herzprobleme seines Sohnes und ob die Auskühlung seines Körpers möglicherweise Folge einer „Beruhigungsspritze“ gewesen sei, hätte er nicht erfahren. Es sei eine gerichtliche Obduktion durchgeführt worden. Auskünfte könne er als Angehöriger nur über die Gerichtsmedizin erhalten. Das Klinikum Krems dürfe dazu keine geben. Man hätte ihm gesagt, er solle sich an einen Anwalt wenden. Dieser solle die Krankengeschichte schriftlich einfordern. Dann werde man prüfen, welche Auskünfte man ihm geben dürfe. Wenn die Leiche freigegeben werde, könne er eine private Untersuchung des Leichnams veranlassen. Die Fertigstellung des gerichtlichen Gutachtens könne mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Er habe erfahren, dass das Ergebnis der Obduktion im Juni dieses Jahres bekannt gegeben werde. Ali starb am 06.04.2021. Für die schockierte Familie heißt es nun: Bitte warten…

Schwester und Bruder (Foto: privat)
Schwester und Bruder (Foto: privat)

Kuscheljustiz?

Die Berichte über das Gefängnis in Stein sind zahlreich. Vertrauen in ein menschenrechtskonformes Justizwesen fördern sie nicht. Alleine die Beiträge auf derstandard.at zeichnen ein Bild von Verrohung, Gewalt und Ignoranz. Trotzdem würden ÖVP- und FPÖ-Gewerkschafter von „Kuscheljustiz“ sprechen. FCG-Vertreter Martin Johann Schöpf hatte im Parlament sogar eine Bürgerinitiative zu Verschärfung des Strafvollzuges eingereicht.

Eine Studie der Universität Innsbruck, die im März dieses Jahres veröffentlicht wurde, dokumentiert die bedrückenden Verhältnisse in österreichischen Justizanstalten (darunter auch in Stein). 72 Prozent der Befragten hätten von mindestens einem Gewaltvorfall in Haft berichtet. Die Bandbreite der Erfahrungen reichten dabei „von leichteren Formen psychischer Gewalt, wie aggressivem Anschreien, über Tritte und Schläge bis hin zu Vergewaltigung“. 70 Prozent „wurden mindestens einmal in Haft aggressiv angeschrien, beleidigt, bedroht, erpresst oder in ähnlicher Weise behandelt“. Vier von zehn Befragten hätten angegeben „getreten, geschlagen, unnötig hart angefasst, gewürgt oder in ähnlicher Weise viktimisiert“ worden zu sein. Männer würden „in drei Monaten in Haft mehr körperliche Gewalt als in drei Jahren außerhalb des Gefängnisses“ erleben und jeder Zehnte würde von sexueller Belästigung oder sexueller Gewalt berichten. Die Dunkelziffer sei vermutlich deutlich höher.

Die Justizanstalt Stein
Die Justizanstalt Stein (Foto: Dr. János KoromWikimedia Commons CC BY-SA 2.0)

Die Angst vor dem Personal rangiere „relativ weit oben“. Jeder sechste Befragte hätte angegeben, körperliche Gewalt durch das Personal erfahren zu haben. Drei Prozent der Befragten hätten „von schweren körperlichen Übergriffen durch Angehörige des Personals“ berichtet.

Personen mit Sexualdelikten oder Gewaltdelikten gegen Kinder, Schwächere und Wehrlose (z.B. wegen körperlicher oder psychischer Probleme) und Personen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Sprache seien besonders gefährdet.

Die Zahl der Häftlinge gemessen an der Gesamtbevölkerung sei in Österreich deutlich höher als in der Schweiz oder Deutschland. Jeder sechste Befragte sei in einem überfüllten Haftraum untergebracht. Die Personal-Insassen-Quote sei im internationalen Vergleich niedrig, viele Planstellen wären unbesetzt. Der Anteil der arbeitswilligen Häftlinge, die nicht beschäftigt werden könnten, liege laut Rechnungshof bei 44 Prozent, die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit nur bei 2,6 Stunden pro Tag.

Wichtig sei eine Leitungskultur, die klare rote Linien aufzeigen und signalisieren würde, dass sie über Missstände und Gewaltvorfälle informiert werden möchte. Die Hürden sich zu beschweren wären für viele zu hoch und die Ängste vor negativen Konsequenzen zu groß: „Bei einer sehr geringen Anklagewahrscheinlichkeit bei gleichzeitig hohem Risiko negativer Konsequenzen ist es durchaus verständlich, dass Opfer von Gewalt in Haft häufig davon absehen, einen Vorfall offiziell zu melden bzw. anzuzeigen.“

Ali Chaciev im Gefängnis (Foto: privat)
Ali Chaciev im Gefängnis (Foto: privat)

Eskalation mit Todesfolge?

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