Ramsan Kadyrow regiert Tschetschenien seit 2007 wie ein Diktator. Die Republik im Nordkaukasus ist bekannt für systematische Menschenrechtsverletzungen. Kadyrow und seine Regierung kontrollieren das Parlament, es gibt keine freie Presse, keine unabhängigen Gerichte und die Bevölkerung ist seiner Willkür ausgeliefert. Täter werden nur in Ausnahmefällen zur Verantwortung gezogen.

Als einziger Gouverneur in Russland, kommandiert Kadyrow eine Armee von mindestens 80.000 schwer bewaffneten Kämpfenden. Diese sollen zum Beispiel in Syrien zur Bekämpfung des „Islamischen Staats“ (IS) eingesetzt worden sein. Auch im Ukrainekonflikt scheinen tschetschenische Kämpfer identifiziert worden zu sein, welche die „Separatisten“ unterstützten. Kadyrow dementiert das allerdings.

Aus einem Themenpapier der „Schweizerischen Flüchtlingshilfe“ geht hervor, dass die Behörden Tschetscheniens auch über die eigenen Grenzen hinweg agieren können. So könnten sie auch in Russland Personen festnehmen und nach Tschetschenien zurückbringen. Teilweise geschehe dies in Zusammenarbeit mit russischen Behörden. Kontinuierlich werden Menschen entführt, sie verschwinden. In den Gefängnissen wird „Druck ausgeübt“, heißt es in einem Bericht der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Berlin.

Die Entführungen beschränken sich hierbei nicht nur auf die Republik, sondern die gesamte russische Föderation. Z.B. nahmen tschetschenische Sicherheitskräfte zwei Einwohner der Republik, den 31-jährigen Adam Dotmerzaev und den 35-jährigen Musa Ashakhanov am 4. Oktober in Rostow am Don fest, brachten sie nach Achkhoy-Martan und folterten sie, ohne ihre Verwandten über ihren Aufenthaltsort zu informieren, berichtete das Memorial Human Rights Center. Auch Salman Tepsurkaev wurde aus Gelendschik, in der russischen Region Krasnodar entführt, von Angehörigen der tschetschenischen Sicherheitskräfte nach Tschetschenien verschleppt und dort rechtswidrig inhaftiert.

Da im Jahr 2018 Memorial aufgrund des Drucks der Behörden sein Büro in Tschetschenien schließen musste, verbleiben nur noch Aktivisten, welche über die Menschenrechtsverstöße berichten. Die Dunkelziffer der Entführungen ist hoch, denn oft machen die Familien der Opfer die Fälle aus Angst vor Repressionen nicht publik. Seit 2017 ist trotzdem ein Anstieg an Fällen von Verschwindenlassen dokumentiert. HRW hat über Fälle von verschwundenen Menschen zwischen 1999 und 2005 berichtet und geht von 3.000 bis 5.000 Opfern aus. Die Zahl ist konservativ geschätzt und steigt seit rund 20 Jahren stark an. Aufgrund der schlechter werdenden Arbeitsbedingungen für Menschenrechtsorganisationen und einzelne Menschenrechtsverteidiger*innen in Tschetschenien ist eine systematische Dokumentation nicht möglich. Ramsan Kadyrow selbst, hat die Republik wiederholt als „die sicherste“ in Russland bezeichnet.

1ADAT präsentierte Statistiken über Entführungen durch Sicherheitskräfte in Tschetschenien. Daraus folgt, dass die Zahl derjenigen, die unter solchen Umständen von April bis Oktober dieses Jahres verschwunden sind, bei 1.511 liegt.

  • Movsar Umarov, Vater von drei kleinen Kindern, wurde im Juli an seinem Arbeitsplatz in einem Restaurant im Zentrum von Grosny entführt. Seine Verwandten fanden ihn am nächsten Tag im Leninsky District ROVD. Die Polizei sagte, er sei den Sicherheitskräften aufgefallen, weil er „Tumso gehört“ habe (YouTube-Sendungen des tschetschenischen Oppositionsbloggers Tumso Abdurakhmanov). Verwandte wissen nicht, ob er noch lebt.

 

  • Das Menschenrechtszentrum „Memorial“ berichtete über die Entführung von sieben Bewohnern des tschetschenischen Dorfes Tschetschenien-Aul, durch die Sicherheitskräfte. Im August wurden sie in ein geheimes Gefängnis in Grosny gebracht und gefoltert. Als es Menschenrechtsaktivisten bekannt wurde, wurden vier freigelassen, drei befinden sich immer noch im Gefängnis.

Im September wurden 53 Personen entführt, darunter Salman Tepsurkayev, ein ehemaliger Chat-Moderator von 1ADAT. (siehe untenZu dieser Zahl gehören auch Verwandte des Regierungschefs Itschkeriens im Exil, Achmed Chalidowitsch Sakajew, ein Kritiker der tschetschenischen Behörden aus Österreich, bekannt als Murad aus Österreich, und Zarema, die Frau des ermordeten Bloggers Mamikhan Umarov (Anzor aus Wien).

  • Im September wurde der Chirurg Salakh Dagayev in Tschetschenien nach einer erfolglosen Operation, die zum Tod eines Patienten führte, entführt und zu Tode geschlagen. Ein Verwandter eines der Mitarbeiter des Oberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, stellte sich als tot auf seinem Operationstisch heraus.

Im Oktober wurden 72 Menschen entführt. Unter ihnen sind ein Polizist, ein Richter, Verwandte derjenigen, die am 12. Oktober bei einer Sonderoperation in Grosny getötet wurden und Verwandte des Oppositionsbloggers Said-Khusein Magomadov. Die Blogger geben die Namen von drei, im Oktober getöteten, Tschetschenen an. Achmed Deniew und Ruslan Dadaew starben bei einem Unfall, dessen Schuldiger, laut dem Sender, ein Verwandter des Oberhauptes der Republik war. Der dritte war der Schulwächter Ali Berdukaev, der am 27. Oktober bei einer Schießerei im Bezirk Achkhoy-Martan getötet wurde.

Im November sind nach Angaben von 1ADAT 132 Menschen verschwunden. Die Administratoren des Senders sagten dem Korrespondenten von Kavkaz.Realii, dass die Entführer meistens abends und nachts kommen, wenn alle Menschen mit ihren Familien zu Hause sind. „Diejenigen, die unter Folter inhaftiert sind, können Namen anderer nennen. In einer Kette werden die nächsten entführt. Rechtzeitige Nennung von Namen kann einer Person vor der Folter bewahren. Wir veröffentlichen nicht alle Namen und Daten, da es viele Fälle gibt, die wir nicht kennen etwa, weil niemand darüber spricht“. Am Ende des Jahres gab es eine Zunahme von Entführungen wegen eines Ergebnisses und eines Berichts an Ramsan Kadyrow „, sagen die Autoren.

Kurz vor dem Jahreswechsel , berichtete der Kanal über mehrere, neue Entführungen auf einmal. Der 31-jährige Turpal Dzhabayev, sowie seine Kollegen Magomed-Salakh Idrisov, Amy Israpilov und Sufyan Alaskhanov, verschwanden nach einem Besuch von Kadyrovs Männern aus dem Dorf Avtury. Sie werden auf der örtlichen Polizeistation festgehalten.

Laut 1ADAT wurden außerdem Akhmedkhan Temurziev, Lidia Darsigova und Zareta Temurzieva in Grosny entführt  – dies ist der Vater, die Mutter und die Schwester der Temurziev-Brüder, die am 28. Dezember in der Putin Allee im Zentrum von Grosny während eines Konflikts  wurden mit Polizisten. Der Chef von Tschetschenien, Kadyrow, hat die Brüder bereits zu Militanten erklärt.

Die meisten Entführten verschwinden spurlos. Ihre Namen stehen nicht auf den Polizeiberichten oder auf der Fahndungsliste der Vermissten. Manchmal räumen sie ganze Bezirke auf, berichten die Aktivisten von 1ADAT „Letzte Nacht wurden ungefähr 80 junge Männer aus verschieden Siedlungen des Bezirks Schali entführt.

Kadyrow und die Funktionäre, die ihm zu hundert Prozent loyal sein müssen, haben etliche Gruppen im Visier: Muslime, die ihren Glauben in ihrer Kleidung oder durch ihre Frisur zeigen, werden als Islamist*innen oder radikale Salafisten verfolgt, auch wenn sie gegen kein Gesetz verstoßen haben. Menschen, die nicht die traditionelle sexuelle Orientierung haben, sind ebenso von Verfolgung betroffen, wie die „Säuberungsaktionen“ der letzten Jahre gezeigt und Zeug*innenaussagen bestätigt haben. Systemkritiker*innen müssen ebenfalls befürchten, dass sie von Kadyrow-Sympathisanten*innen bedroht oder angegriffen werden. Dies betrifft sowohl die lokale Bevölkerung als auch solche, die ins Ausland geflüchtet sind.