Wenn Sidonie Adlersberg, das adoptierte „Zigeunermädchen“, in vorauseilendem Gehorsam  von der behördlichen Befehlskette ohne jede Notwendigkeit dafür aber ohne Gnade nach  Auschwitz Birkenau verfrachtet wird, zeigt uns der literarische Mahner Karlheinz Hackl wie  wir wirklich waren. „Abschied von Sidonie“ ist ein eindrückliches Plädoyer für mehr  Menschlichkeit und Humanismus. Wenn dies zur Zeit der nationalsozialistischen  Barbarenherrschaft für sehr viele Menschen nicht möglich war dann sollten wir doch  wenigstens heute in der Lage sein ein Mindestmaß an Zivilcourage aufzubringen. Hier ist jeder  von uns gefordert der sich nicht der reaktionären Liga zugeordnet fühlt. Wenn etwa  afghanische Frauen und Mädchen die sich in Österreich vorsichtig an die Freiheiten welche  die westliche Gesellschaft zu bieten hat annähern plötzlich von Abschiebung bedroht sind,  sollte uns allen klar sein das in deren Heimat die tollwütigen, fanatisierten Taliban nur darauf  warten verwestlichte Frauen mit abartiger Brutalität wieder an die Lebensregeln der  Fundamentalisten zu erinnern. Wenn junge afghanische Männer genug haben vom  Puritanismus der gottlosen Gotteskrieger und den österreichischen Lebensstil vorbildlich  finden liegt es an uns das Potenzial dieser lernwilligen und hoffnungsfrohen Menschen zu  unterstützen. Jeder „Charterabschiebeflug“ nach Kabul ist ein Verrat an der humanistischen  Grundordnung und gefährdet das Leben der abgeschobenen Menschen. Afghanistan ist das  unsicherste Land der Welt in dem Terroranschläge zuhauf und in steigender Zahl das Leben  von unschuldigen Zivilisten in jeder Stunde des Tages gefährden. Waren es in diktatorischen  Zeiten Böswilligkeit und Brutalität die Menschen dazu brachten andere Menschen zu  denunzieren und damit deren Todesurteil zu bewirken so sind es heute psychologische  Mechanismen (die natürlich auch in der Nazizeit wirksam waren) die uns dazu bringen,  Menschen in Kriegsgebiete zurückzuschicken oder der Willkür von Fundamentalisten  auszuliefern. So vertrauen wir auf eine einigermaßen funktionierende Welt in der uns nichts  wirklich Grausames passieren sollte. Dieses Urvertrauen kann aber auch dadurch zerstört  werden, wenn Boten einer grausamen Welt – beispielsweise Flüchtlingsfamilien aus  Afghanistan – zu uns kommen und uns von den Gräueltaten der Taliban erzählen. Diese  Erzählungen geben Kunde vom fortschreitenden Grauen das uns weltweit umgibt. Ein ganz  einfacher psychologischer Trick besteht jetzt darin der afghanischen Frau die von ihrer  Vergewaltigung erzählt (was ohnehin große Überwindung verlangt) oder den afghanischen

Mann der von den Foltermethoden der Taliban erzählt keinen Glauben zu schenken. Wir  bezichtigen diese Menschen der Lüge und können uns somit unser kindliches Vertrauen in die  prinzipielle Gutartigkeit der Welt erhalten. Der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer weiß  darüber seit Jahren zu berichten und hat für jeden der es wirklich wissen will gut lesbare  Bücher verfasst. Heute sind wir genug belastet mit der Corona Krise und deren immer noch  unabsehbaren Folgen. Bisweilen völlig unfähige konservative Politiker werden dazu beitragen  die Schuld wiederum bei zur Flucht gezwungenen Menschen zu finden und diese erneut als  Feindbild zu missbrauchen. Dass Österreich nach der Machtübernahme der muslimischen  Taliban Terrormiliz darauf verzichtet hat eine geringe Anzahl von westlich orientierten Frauen  und deren Familien aufzunehmen führt mich wieder zu meiner Überschrift: Abschied vom  Humanismus.

Sigi Stupnig, Psychologe, Verein Inklusionsinitiative (ZVR 1401385835)