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SPÖ, FPÖ und Grüne einig bei Notstandshilfe sowie bei Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten – ÖVP dagegen

Wien – Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren explodiert. Gut 182.000 Menschen haben im Vorjahr Notstandshilfe bezogen, was eine Verdoppelung seit 2005 bedeutet. Voraussetzung für den Bezug der Notstandshilfe ist eine vom AMS festgestellte „Notlage“. Die liegt laut Gesetz immer dann vor, wenn das Einkommen des Arbeitslosen nicht „zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse“ ausreicht.

Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse wurde bisher auch das Einkommen des Partners berücksichtigt (bereits ab einer Höhe von rund 650 Euro). SPÖ, FPÖ und Grünen haben sich am Donnerstag im Parlament drauf geeinigt, diese Bestimmung nun abzuschaffen. Verdient also ein Partner gut, kann der andere trotzdem die volle Notstandshilfe bekommen (sie macht bis zu 95 Prozent des Arbeitslosengeldes aus, im Schnitt wurden zuletzt 732 Euro monatlich ausbezahlt).

„Sofort existenzgefährdend“

Initiatorin der aktuellen Änderung war die Grüne Judith Schwentner: „Die jahrelange Hartnäckigkeit der Grünen hat sich gelohnt. Nun werden heikle Lebenssituationen nicht sofort existenzgefährdend“, sagt sie und verweist darauf, dass damit auch ein Punkt des Frauenvolksbegehrens von 1997 umgesetzt worden sei.

Wie viele Menschen werden von der Neuerung nun profitieren? Im Vorjahr gab es laut Sozialministerium rund 21.500 Menschen, denen die Notstandshilfe wegen des Partners um durchschnittlich 330 Euro monatlich gekürzt wurde. Mehrheitlich (60 Prozent) handelt es sich um Frauen, in den vergangenen Jahren ist aber der Männeranteil gestiegen. Das ist einerseits mit der steigenden Zahl an langzeitarbeitslosen Männern, aber auch mit der steigenden Frauenbeschäftigung zu erklären.

Großteils Inländer als Bezieher

Interessant ist, dass die FPÖ – anders als bei der Mindestsicherung – bei der Notstandshilfe für Verbesserungen ist. Das dürfte auch mit der Gruppe der Profiteure zusammenhängen. Ein Blick in die Statistik zeigt nämlich: Während bei der Mindestsicherung mittlerweile der Anteil der Zuwanderer bei über 50 Prozent liegt, wird die Notstandshilfe zu 76 Prozent von österreichischen Staatsbürgern bezogen. Im Schnitt sind die Inländer auch deutlich länger (zuletzt 923 Tage) auf Notstandshilfe und Arbeitslosengeld angewiesen als Ausländer (EU-Zuwanderer nur 686 Tage, Drittstaatsangehörige 796 Tage).

Die ÖVP lehnt die Änderung ab. „Wir tragen keine budgetschädlichen Beschlüsse mit“, sagt Sozialsprecher August Wöginger. Das Sozialressort schätzt die jährlichen Mehrkosten auf rund 160 Millionen Euro. Für SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch ist das kein schlagendes Argument: „Wir sehen die Notstandshilfe als individuellen Anspruch, für den Beiträge eingezahlt wurden.“

Keine Fehlanreize

Was sagen Ökonomen zu den Änderungen? Der Arbeitsmarktexperte des Wifo, Helmut Mahringer, sieht Argumente für beide Seiten. Im Sinne der „eigenständigen Existenzsicherung der Frauen ist das sicher sinnvoll“, sagt er im STANDARD-Gespräch. Da die Notstandshilfe aber auch dauerhaft bezogen werden kann und das Vermögen (wie bei der Mindestsicherung) nicht weitgehend aufgebraucht werden muss, könne man natürlich auch auf das Haushaltseinkommen abstellen.

Dass bei jenen, die nun eine höhere Notstandshilfe bekommen werden, ein Anreiz entstehe, keine Arbeit aufzunehmen, glaub Mahringer allerdings nicht. Zur Anreizfrage hat das Wifo im Vorjahr eine Studie veröffentlicht. Das Ergebnis: Da die Betroffenen jede zumutbare Arbeit annehmen müssen, es eine Pflicht zur Fortbildung gibt und bei Verweigerung Sanktionen drohen, würden die monetären Anreize, also die Höhe der Notstandshilfe, keine große Rolle spielen, so Mahringer.

Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten

Ebenso eine rot-blau-grüne Allianz gab es bei der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten. All die Proteste der Wirtschaftskammer haben am Ende also nichts genützt. WKO-Boss Christoph Leitl deponierte daher, es sei für ihn „zunehmend unvereinbar“, wenn Gewerkschafter auch im Nationalrat sitzen. „Ich halte Gewerkschaftsbosse, die zugleich Abgeordnete sind, für eine Gefahr für die Sozialpartnerschaft“, so Leitl.

In einigen Punkten wurde bei den rot-blau-grünen Verhandlungen, die vom Baugewerkschafter und SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch federführend koordiniert wurden, aber sehr wohl noch auf Bedenken der Unternehmer eingegangen.

Ein Überblick:

Kündigung Bei den Kündigungsfristen wird es für Arbeiter zu Verbesserungen kommen. Statt zum Teil weniger als 14 Tage wird es künftig eine Kündigungsfrist von mindestens sechs Wochen für alle geben. Mit dem Dienstalter steigt die Frist – nach 25 Jahren liegt sie schließlich bei fünf Monaten. Allerdings, und das ist eine wesentliche Änderung gegenüber dem Erstentwurf: Diese Bestimmungen werden erst 2021 in Kraft treten. Die Betriebe haben also mehr als drei Jahre Zeit, sich auf die Änderungen einzustellen. Und: In Saisonbranchen wie dem Bau und dem Tourismus kann überhaupt auf eine Angleichung verzichtet werden – freilich nur, wenn sich Gewerkschaft und Wirtschaftskammer einig sind.

Entgeltfortzahlung Auch die Entgeltfortzahlung wird angeglichen. Im Krankheitsfall des Mitarbeiters führt das zu Verbesserungen für Angestellte, bei Dienstverhinderung aus persönlichen Gründen profitieren wieder die Arbeiter. Allerdings werden auch diese Änderungen nicht gleich mit Jahresbeginn, sondern erst mit 1. Juli 2018 in Kraft treten.

Die Kostenschätzungen gehen weit auseinander. Die WKO spricht von einer Belastung von jährlich 150 Millionen, das Sozialressort nur von 25 Millionen plus 27 Millionen für die AUVA.

„Husch-Pfusch“

Die ÖVP schäumte ob der Überstimmung durch den Koalitionspartner. Sozialsprecher August Wöginger sprach im Nationalrat von einer „Husch-Pfusch-Aktion“. Man vereinheitliche zwar die Fristen, habe aber noch immer keinen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff und greife ohne Einbindung der Sozialpartner „in hunderte Kollektivverträge“ ein. Immerhin hätten die Gewerkschafter die SPÖ zurückgepfiffen und Übergangsfristen durchgesetzt, lobte Wöginger ÖGB-Boss Erich Foglar.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz hatte zuletzt auch wiederholt beklagt, dass es weiter möglich sein wird, einen eigenen Betriebsrat und Arbeiter und Angestellte zu haben.

„Frei bei der Wahl des Betriebsrats“

Daran will die Gewerkschaft aber nicht rütteln. Möglich sei es schon jetzt, einen gemeinsamen Betriebsrat zu gründen, sagt Muchitsch im STANDARD-Gespräch. Aber eben nicht verpflichtend: „Die Geschäftsführung ist frei in der Bestellung des Managements, die Arbeitnehmer sind frei bei der Wahl des Betriebsrats.“

GPA-Chef Wolfgang Katzian machte sich im Nationalrat gar lustig über die ÖVP-Argumentation, wonach die Sozialpartner nicht eingebunden gewesen seien. Erstens verhandle man das Thema seit zwei Jahren, und zweitens sei es doch Sebastian Kurz gewesen, der verkündet habe, er wolle die Sozialpartner zurückdrängen. (Günther Oswald, 12.10.2017)

 

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