Die beiden Tschetschenen-Mädchen vor ihrer Schule in der Nähe von Grosny. ZVG

«Die Lehrerin lacht uns aus, weil wir nicht Russisch können»

So leben die ausgeschafften Kilchberger Mädchen in Tschetschenien.

Im Nu steht die Verbindung per Skype. «Guten Tag, Herr Reporter», grüssen Marha (13) und ihre Schwester Linda (11). Sie sitzen auf einem Sofa und sprechen in die Kamera eines Mobiltelefons. «Wie geht es Ihnen?»

Sie lachen, doch ihr Lachen scheint gequält. Seit einem halben Jahr leben die Mädchen mit den Eltern und ihren beiden Brüdern in der Nähe von Grosny, in der tschetschenien Hauptstadt. Im Privatjet sind sie im Juni aus der Schweiz ausgeschafft worden. Nachdem sie viereinhalb Jahre voll integriert in Kilchberg ZH lebten (BLICK berichtete).

Am neuen Ort gefalle es ihnen «nicht so gut wie in der Schweiz», sagt Linda. Den Schalk von einst hat Linda verloren. «Wir vermissen den Spass und die Freunde von Kilchberg.» Kalt sei es in Tschetschenien. «Und der Fluss ist sehr schmutzig.»

Ungern nur tragen sie die Kopftücher und die langen Röcke. An der Schule ist beides Pflicht. Mädchen und Buben hätten in Kilchberg vieles zusammen getan. «Hier sind wir getrennt, als ob es gefährlich wäre, wenn Mädchen und Knaben zusammen sind», sagt Linda.

Regiert wird die autonome russische Republik Tschetschenien von Ramsan Kadyrow (40), einem Gewaltherrscher. Zunehmend islamisiert er das Land, setzt strikte religiöse Gesetze durch. Bewaffnete Männer kontrollieren, ob Frauen und Mädchen sich züchtig kleiden.

Oft kommen Marha und Linda weinend nach Hause. «In Kilchberg wollten wir selbst dann zur Schule, als wir krank waren», so Marha. «Jetzt sind wir froh, krank zu sein, damit wir nicht zur Schule müssen.»

Sie leiden wegen der Sprache. Der Unterricht ist auf Russisch, die Mädchen reden miteinander Deutsch. Nachhilfe erhalten sie nicht. Verstehen sie eine Aufgabe nicht, werden sie beschimpft. «Die Lehrerin lacht uns aus», sagt Marha. Allein, weil sie nicht Russisch könne. «‹Du schreibst wie eine Dreijährige›, schrie sie mich an.»

Hatten sie in Kilchberg Noten zwischen 5 und 6, schreiben sie jetzt 3er. Marhas Klasse umfasst 36 Schüler, jene von Linda 40. Dreimal die Woche turnten die Mädchen in der Schweiz. In Tschetschenien spielen die Knaben draussen Fussball, die Mädchen müssen drinnen Schach üben.

Täglich würden sie mit ihren Freundinnen in der Schweiz über WhatsApp oder FaceTime reden.

Gering sind die Chancen auf eine Rückkehr in die Schweiz. Das Asylgesuch von Vater Timur M. (40) ist in letzter Instanz abgelehnt worden. Am Migrationsamt des Kantons Zürich hängig ist ein Gesuch der Kinder für eine Aufenthaltsbewilligung und Familiennachzug. Ihr Anwalt argumentiert mit dem Kindeswohl.

Doch die Kinder geben nicht auf. «Klar», sagt Linda, «wir kommen zurück in die Schweiz – und schliessen unsere Freunde in die Arme.»

Derzeit werde er nicht bedroht, sagt ihr Vater. Aber: «Hier haben die Kinder keine Zukunft.» Drei Jobs hätte er in Kilchberg haben können, in Tschetschenien findet er keine Stelle. Sein älterer Sohn könne nicht zur Schule. «Den Behörden ist das egal», sagt er. «Ihnen ist egal, ob wir sterben.»

 

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