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Darf der Staat Bekleidungsverbote nur für Muslime verhängen, oder müsste neben Kopftuch auch Kippa verboten werden?

In Kindergärten und Volksschulen versuchen Journalisten dieser Tage ein Phänomen dingfest zu machen, das die Regierung verbieten möchte: das Kopftuch bei Schülerinnen. Die wenigen Fälle kindlicher Verschleierung, die entdeckt werden, lassen Zweifel an der Dringlichkeit eines solchen Kopftuchbanns aufkommen – Bildungsminister Heinz Faßmann spricht nicht ohne Grund von einer „symbolischen Maßnahme“.

Wer nach religiös gekleideten Kindern in jüdischen Kindergärten oder Volksschulen sucht, wird umgehend fündig. „Alle unsere Burschen tragen ab drei Jahren Kippa“, sagt ein orthodoxer Jude im 2. Wiener Bezirk. Angesprochen auf das geplante Kopftuchverbot für muslimische Mädchen, meint er: „Jetzt wollen sie uns da mit hineinziehen.“

Die Angst des Mannes erscheint nicht unbegründet. Der Verfassungsdienst hat die Regierungspläne geprüft und kommt in einer ersten Einschätzung zum Schluss: „Es ist davon auszugehen, dass ein Verbot religiöser Kopfbedeckungen für Kinder in Kindergärten und Volksschulen, das unabhängig von der religiösen Überzeugung gilt, dem Grunde nach zulässig ist.“ Grünes Licht also, aber nur für ein allgemeines Verbot religiöser Kopfbedeckungen. Und das würde wohl auch die jüdische Kippa umfassen – so wie in Frankreich. Dort verbannt der laizistische Staat Religionen und ihre Symbole generell aus Schulen und dem öffentlichen Dienst. Im katholischen – oder, wie Faßmann es ausdrückt, „religionsfreundlichen“ – Österreich findet diese glasklare Trennung von Kirche und Staat keine Mehrheit. Die Regierung beharrt folglich darauf, mit ihrem Kopftuchverbot speziell kleine Mädchen vor Diskriminierung schützen zu wollen. Es gehe nicht per se um religiöse Motive, folglich auch nicht um Buben mit Kippa.

Das Kreuz tragen viele wie ein Schmuckstück ohne religiösen Hintergrund.

Nach dem Burkaverbot stehen deswegen neue legistische Abenteuer bevor. Wegweisend könnte die Expertise des Verfassungsexperten Theo Öhlinger sein. Im Unterschied zum Verfassungsdienst sieht er bei Mädchen großen Spielraum, das geplante Verbot „speziell auf das islamische Kopftuch zuzuschneidern“. Die Kippa drücke keine direkte Diskriminierung des Geschlechts aus und stamme aus der Tradition. Und das Kreuz? Laut Europäischem Gerichtshof dürfen Arbeitgeber ihren Mitarbeiterinnen Kopftücher verbieten, aber nicht gleichzeitig ein großes Kruzifix sichtbar um den Hals erlauben. Öhlinger sieht dieses Neutralitätsgebot bei Schülerinnen nicht gegeben. „Das Kreuz tragen viele wie ein Schmuckstück ohne religiösen Hintergrund.“ Das Kopftuch sei hingegen eine klare Demonstration der Religion und „ein Zeichen der Diskriminierung der Frau“. Mädchen davor zu schützen, sei ein berechtigtes Anliegen, weil das Tuch die Integration behindere.

Die Unmündige würde durch ein Verbot primär beschützt, so sein zu dürfen wie alle anderen.

Öhlinger deutet Diskriminierung um: Er sieht Mädchen benachteiligt, weil sie sich durch das Kopftuch automatisch von anderen unterscheiden. Vom religiösen Selbstbestimmungsrecht, zu tragen, was man will, könne man erst bei mündigen Personen sprechen: „Die Unmündige würde durch ein Verbot primär beschützt, so sein zu dürfen wie alle anderen.“

Die Regierung will ihr geplantes „Kinderschutzgesetz“ auf private Schulen ausdehnen, um einen Ausweicheffekt zu verhindern. Allein in Wien gibt es vier islamische Volksschulen. Eine der Schulen warb in Wien noch vor wenigen Jahren mit Werbefoldern, die bereits Sechsjährige mit Kopftuch zeigten (siehe Bild). Sofern es sich um Schulen öffentlichen Rechts handelt, hält Verfassungsexperte Öhlinger auch diese Ausweitung für möglich – mit einem Schlupfloch: In Österreich dürfen Kinder komplett privat, also außerhalb von Schulen, unterrichtet werden. Diktieren zu wollen, was ein Mädchen daheim beim Mathe-Lernen auf dem Kopf trägt, hielte selbst Öhlinger für nicht aussichtsreich.

 

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