foto: apa/hans punz
Am Fundort der Leiche gedachten anteilnehmende Menschen des Mädchens mit Blumen und Kerzen.

Der Fall der erstochenen Hadischa hat Ressentiments der übelsten Sorte, das hässliche Österreich ans Tageslicht gebracht. Ein Dank an alle, die stattdessen für Werte der Humanität und der sozialen Solidarität eintreten – ungeachtet der Herkunft eines Menschen.

Wie ein Schrecken las sich Samstagmorgen die beklemmende Nachricht von dem gewaltsamen Tod der siebenjährigen Hadischa aus dem Ditteshof. Eines Mädchens, das, wie es alle Kinder in Wien in ihrem Alter so tun, nachmittags an einem Fenstertag auf dem Kinderspielplatz ihres Gemeindebaus spielte und nichts von der Tragödie ahnen konnte, die ihm etwas später widerfahren sollte.

Die Reaktion, die ein Mensch mit dem Mindesten an Menschlichkeit in seinem Herzen auf solch eine erschreckende Nachricht zeigt, ist offensichtlich: Bestürzung und Mitgefühl. Was man in den Stellungnahmen zu einem Online-Artikel der „Kronen Zeitung“ auch vernehmen konnte. Man konnte Kommentare (orthografisch so belassen, wie sie erschienen sind, Anm. der Red.) wie die folgenden lesen:

„RIF, kleines Mäderl!“,

„Kleiner Engel hoffentlich musstest du nicht leiden!“,

„Armes Mädchen, was musst du für Angst gehabt haben in deinen letzten Minuten […] Furchtbar, welch Monster macht sowas!“

„Mein Beileid gilt der Familie.“,

„Meine Tochter ist im selben Alter. Und so wenig mir die Entwicklungen der letzten Jahre gefallen – dass muss damit nichts zu tun haben. Gab es leider vor 10, 20, 30 Jahren auch schon. Aber wir können unsere Kinder doch nicht einsperren?“

Dies waren nur wenige von den zahlreichen Kommentaren der Bestürzung, die User der „Kronen Zeitung“ posteten.

Jedoch ging diese Art von Kommentaren etwas später im Sumpf der „geläuterten“ Stimmen unter. Was war geschehen? Gegen Mittag wurde auch die Herkunft der Siebenjährigen bekanntgegeben; die kleine Hadischa stammt aus Tschetschenien.

Nun war zu lesen:

„Ich glaub die Eltern haben eventuell damit was zu tun. Wer meldet sein kleines Kind erst um 23.30 als vermisst? Wh ist die kleine misshandelt worden so will man die Spuren verwischen. Aber natürlich nur reine Spekulation.“

„Hauptsache, die Ur-Wiener müssen bis z. zwei Jahre auf eine Gemeindebauwohnung warten. […] Diesbezüglich, die ganze Familie, samt der ganzen Verwandtschaft, ordentlich, unter die Lupe nehmen.“

„Jetzt kommen endlich mehr Infos, tschetschenische Familie, 15:00 Uhr zum letzten Mal gesehen und meine Vermutung bzgl. den Eltern stimmt erst einmal. Ich bin gespannt wann die Familie oder ein bekannter der Familie überführt wird denn das ist meistens eine Geschichte innerhalb der Familie oder bekannten davon. Ist jetzt aber nur eine Vermutung.“

„Und so etwas passiert in einem Nobelbezirk. Aber eine allgemeine Frage: Wie können Tschetschenen sich diese Gegend eigentlich leisten?“

„Tschetschenien … alles klar. Danke!“

„Was machen Leute aus Tschetschenien hier? Das kann ja nicht wahr sein.“

Einer der Vertreter dieser Gesellschaftsschicht empfand in der Facebook-Gruppe „FPÖ“, mit der die gleichnamige Partei nichts zu tun haben will, in dem Kontext gar das Verlangen nach der Aufforderung, dass die Tschetschenen sich „nicht beschweren und dafür dankbar sein“ sollten, „von uns aufgenommen worden zu sein!“.

Man könnte das alles nun relativieren und sagen, dass der Großteil der Bevölkerung auch im Wissen um die Herkunft des Mädchens über den Vorfall bestürzt sei und mit den Angehörigen mitfühle, was auch stimme, doch die Ausnahmen sind immer häufiger anzutreffen. Für diese Ausnahmen stand anscheinend die Herkunft dieses Mädchens, das, wie von der Polizei bestätigt, durch einen Halsstich getötet wurde, im Vordergrund und nicht das Leid, das diese tschetschenische Familie heimgesucht hatte.

Absurder Diskurs

Das Bedauerliche ist, dass diese Ausnahmen es dank ihrer politischen Stimmen sowie einiger Vertreter der Medien schaffen, ihren absurden Diskurs in die Gesellschaft zu tragen und sich hierfür auch kein wenig schämen. Die Frage, die ich hier in den Raum stelle, ist, wessen Verdienst es ist, die Auffassungen dieser Menschen derart pervertiert zu haben.

Und nein, bei diesen werde ich mich als ein Tschetschene nicht bedanken, denn nicht sie waren es, die mir die helfende Hand gereicht haben. Vielmehr waren es diejenigen, die für Werte der Humanität und der sozialen Solidarität, und zwar ungeachtet der Herkunft eines Menschen, stehen, und diejenigen ihrer früheren Vertreter, die sich aufopfernd für diese Werte eingesetzt haben. Diesen Österreicherinnen und Österreichern sage ich als Tschetschene: Danke! (Suleyman Magomadov, 14.5.2018)

 

Suleyman Magomadov (26) studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Er ist in Grosny geboren und lebt seit 2004 in Wien. Nachdem der Autor mit nahen Angehörigen der siebenjährigen Hadischa gesprochen hat, gaben diese Folgendes bekannt: Das Mädchen sei um etwa 15 Uhr auf den Spielplatz ihres Gemeindebaus zum Spielen rausgegangen. Kurz vor 16 Uhr sei ihr Fehlen bemerkt worden und man hätte begonnen, selbstständig nach der Kleinen zu suchen. Man hätte sich bei einigen Nachbarn – deren Kinder das Mädchen zu Hause besuchten und die sie selbst besuchte – erkundigt, ob das Mädchen nicht zu ihnen gegangen sei. Auch hätte man mit der Hilfe einiger Verwandten alle nahegelegenen Kinderspielplätze, U-Bahn-Haltestellen und viele andere Orte durchsucht. Dann seien unter allen Bekannten über Whatsapp Aufrufe über die Abgängigkeit des Mädchens verschickt worden – welche sich rasch unter vielen in Wien lebenden Tschetschenen verbreiteten. Nachdem man auch nach einer intensiven Suchaktion in Eigenregie das Mädchen nicht gefunden habe, hätte man am Abend die Polizei verständigt.

KOMMENTAR DER ANDEREN

SULEYMAN MAGOMADOV 

14. Mai 2018

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