Putin im Fernsehstudio bei seiner Bürgerfragestunde – APA/AFP/SPUTNIK/MIKHAIL KLIMENTY

Bürgernähe nach Art des Kreml: Die alljährliche Fernseh-Sprechstunde des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat begonnen. Die Menschen beunruhigt vor allem die wirtschaftliche Lage, das angespannte Verhältnis zum Westen und die ineffektive Bürokratie.

Die erste Frage ist aufgelegt für Wladimir Putin. „Ist das Bild schwarz oder weiß?“, fragt der Moderator den russischen Präsidenten bei der alljährlichen TV-Bürgersprechstunde hinsichtlich der Lage Russlands. Noch sei die Lage eher grau, aber „wir bewegen uns in die weiße Zone“, gibt Wladimir Putin zur Antwort und verweist auf das sehr moderate Wirtschaftswachstum.

Steuerbelastung, die ökonomische Entwicklung des russischen Fernen Ostens, das Verhältnis zum Westen, Probleme mit der überbordenden heimischen Bürokratie – das sind die ersten Fragen beim „Direkten Draht“, die Putin beantworten muss.

Zum 16. Mal findet am Donnerstag der „Direkte Draht zu Wladimir Putin“ statt. Er kennt das Format, es ist auf ihn zugeschnitten: Elf Mal hat er die Fragen des Volkes bereits als Präsident beantwortet, und vier Mal als Premierminister. Dieses Jahr kann man über Call Center, die Anrufe entgegen nahmen, per SMS und über eine eigene Webseite seine Anliegen abschicken. Die Korrespondenten-Beiträge, die aus dem ganzen Land gesendet werden, sind von den Produzenten sorgfältig gecastet – wie etwa die Frage eines Autofahrers von der neuen Krim-Brücke, der sich nach weiteren Straßenbauplänen erkundigt.

Keine Provokationen Kiews während der WM

In den Tagen vor der Show berichteten die staatlichen und staatsnahen Medien über die Menge der Anfragen, als würde allein ihre Zahl schon von Begeisterung für den Kreml-Chef sprechen. Mehr als 1,75 Millionen Bürgeranliegen wurden den Organisatoren des „Direkten Drahtes“ schließlich übermittelt, hieß es. Die Zahlen sollen beeindrucken und illustrieren, wie sehr das russische Volk Rat und Hilfe beim russischen Präsidenten sucht.

Auch aktuelle politische Fragen wurden gestreift: Der russische Präsident drohte der Ukraine, falls sie während der Fußball-WM militärische Angriffe auf Separatistenstellungen im Osten des Landes versuchen sollte. „Ich hoffe, dass es nicht zu solchen Provokationen kommt“, sagte er. „Wenn das passiert, wird es, so sehe ich das, sehr schwere Folgen für die ganze ukrainische Staatlichkeit haben.“ Die Frage bei der Show stellte ihm der Schriftsteller Sachar Prilepin, der als Freiwilliger aufseiten der von Russland organisierten Separatisten kämpft.

In dem Konflikt sind seit 2014 mehr als 10.000 Menschen getötet worden. Offiziell gilt ein Waffenstillstand, der aber von beiden Seiten verletzt wird. Gerade im Mai hatte es verstärkten gegenseitigen Artilleriebeschuss gegeben. Die Außenminister aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine werden am kommenden Montag (11.6.) in Berlin einen neuen Versuch machen, den Stillstand bei der Konfliktlösung zu überwinden. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland wird vom 14. Juni bis 15. Juli ausgetragen.

Fragen per Videoanruf aus allen Ecken des Landes

Dieses Jahr wartet man bei der Sprechstunde mit allerlei technischem Schnickschnack auf. Menschen aus allen Ecken des Riesenreichs werden per Videoanruf auf Monitoren zugeschaltet, um den Eindruck zu geben, das ganze Volk stehe im direkten Kontakt mit dem Staatschef. Auch Minister und Gouverneure sind live hinter ihren Schreibtischen dabei, damit Putin ihnen Anweisungen geben oder sie schelten kann.

Putin spielt in seiner TV-Fragestunde stets den „guten Zaren“, er ist die letzte Anlaufstelle für von der ineffektiven Bürokratie oder fragwürdigen Gesetzen betroffene Bürger – eine Art allmächtiger Bürgeranwalt. Für den Kreml ist die TV-Show ein Stimmungstest im Land; für die Bürger, Gelegenheit, ihren Frust loszuwerden.

Da war etwa der LKW-Fahrer aus St. Petersburg, der sich in einem Videocall aus seiner Fahrerkabine über die hohen Benzinpreise ereiferte. „Halten Sie das auf!“, trug er Putin auf. Der schaltete sogleich Energieminister Alexander Nowak zu, der blass vor seinem Schreibtisch sitzend Antwort stehen musste und versprach, dass es keine Preiserhöhungen mehr geben würde: „Sehr geehrter Wladimir Wladimirowitsch, wir kümmern uns darum.“


 

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