Vor fast genau hundert Jahren wurde der 12-Stundentag abgeschafft. Diese Errungenschaft wurde heute, hundert Jahre später, von der Regierung rückgängig gemacht. Die bedingungslose Verlängerung der Arbeitszeit heißt: Während bis dato maximal zehn Stunden am Tag gearbeitet werden darf, dürfen künftig auch eine 11. und 12. Stunde (als Überstunde) angeordnet werden. Anstatt 50 Stunden in der Woche, darf der Arbeitgeber 60 Stunden Arbeit verlangen.

12 Stunden machen krank und vernichten Arbeitsplätze. Sie erschweren die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, insbesondere dem Familienleben und verfestigen an sich bereits überholte Geschlechterrollen. Ihre generelle Einführung ist daher nicht nur für die betroffenen ArbeitnehmerInnen, sondern auch gesamtgesellschaftlich ein Rückschritt in frühindustrielle Zeiten. Jede Ausweitung der Arbeitszeit muss daher mit Bedacht erfolgen, sie muss sich an harten Prüfsteinen messen lassen und sie muss auch den ArbeitnehmerInnen Vorteile bieten.

Uns wird verkauft: Nix geht im Staate Österreich. Verkrustete starre Regelungen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wie wir wissen, gibt es schon bisher zahlreiche Ausnahmebestimmungen, zum Beispiel in bestimmten außerordentlichen, unvorhersehbaren Situationen, in denen dem Unternehmen ein wirtschaftlicher Schaden droht. Sind keine anderen Maßnahmen zumutbar – wie z. B. die Einstellung zusätzlicher ArbeitnehmerInnen – kann auch heute bereits unter strengen, geregelten Voraussetzungen und verpflichtender Mitbestimmung des Betriebsrats ein vorübergehender 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Woche zugelassen werden. 24 Wochen im Kalenderjahr – das ist die Hälfte des Jahres!

Warum sollte also überhaupt eine Änderungsnotwendigkeit bestehen? Die Antwort ist schnell gegeben: Genau diese betriebliche Mitbestimmung, genau diese Einschränkung auf Notsituationen und die Vorteile für ArbeitnehmerInnen (wie z. B. 100-prozentige Überstundenzuschläge), die als Gegengeschäft legitimer Weise verlangt werden, sind der Wirtschaft ein Dorn im Auge.

Zeit und Geld

Im Arbeitsverhältnis gibt es zwei zentrale Verhandlungsfragen: Zeit und Geld. Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz, dass verhindern soll, dass ArbeitnehmerInnen durch überlange Arbeitszeiten krank werden und sie sich für die Profitmaximierung ihres Arbeitgebers kaputt arbeiten müssen. Ein Schutzgesetz, das verhindern soll, dass ihr Privatleben leidet, dass sie ihre Kinder nur zum Schlafen-gehen sehen und mangelnde Planbarkeit und Vorhersehbarkeit eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung verunmöglichen.

Dieser Interessenausgleich ist nicht immer leicht zu finden – klar ist aber, je belastender Arbeitszeiten sind (zB wegen ihrer Länge oder der einseitigen Bestimmungsmöglichkeit durch den Arbeitgeber), desto wichtiger sind ihre Beschränkung auf Einzelfälle und die Schaffung von Ausgleichsmaßnahmen. Die Palette dabei ist vielfältig: Höhere Zuschläge, mehr Freizeit, begründungsloses Ablehnungsrecht von Überstunden etc.

Neben Geld rückt zunehmend die Schaffung von zusätzlicher Freizeit in den Fokus. Denn niemand kann sich seine Gesundheit zurückkaufen, niemand kann sich die Zeit mit dem eigenen Kind zurückkaufen.

Interessenausgleich: Abgeschafft!

Genau mit diesen Bedürfnissen spielen Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und Bundesregierung. Lauthals propagieren sie wie vorteilhaft die neu vorgeschlagene Arbeitszeitverlängerung für die Beschäftigten sei. Von mehr Freizeit, mehr Freiheit, sogar von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist die Rede.

Eine glatte Lüge. Ein Blick in den Initiativantrag offenbart schnell: Der Entwurf enthält keine Wahlfreiheit, keine Freizeit, keine Selbstbestimmtheit. Keine Verkürzung, keine langen Wochenenden, keine zusätzlichen Ausgleichsmaßnahmen. Kein Wort davon. Zeitgleich ist wie bisher vom Good Will des Arbeitgebers abhängig. Zusätzliche Freizeit oder kürzere Gesamtarbeitszeiten? Fehlanzeige!

Frontalangriff auf die ArbeitnehmerInnen

Doch es kommt noch schlimmer. Betriebliche Mitbestimmung wird bereits seit geraumer Zeit als lästig, bürokratisch, eben einfach nicht mehr modern, abgetan. Die Konsequenz der Regierungsparteien: Sie wird einfach ersatzlos abgeschafft. Die bisherige Mitbestimmung des Betriebsrats und die Instrumente zum Interessenausgleich beim 12-Stunden-Tag werden ersatzlos gestrichen. Bisher haben sie sichergestellt, dass die ArbeitnehmerInnen bei einer derartigen Ausweitung der Arbeitszeit nicht auf der Strecke bleiben.

Der einzige „Vorteil“, der dem Initiativantrag zu entnehmen ist: Die 11. und 12. Stunde bleiben Überstunden. Die Zuschläge werden nicht abgeschafft. Wir nehmen also zur Kenntnis: Der Vorteil der ArbeitnehmerInnen ist, dass ihnen nicht auch noch das Geld weggenommen wird. Auch das stimmt nicht ganz. Denn die Betriebsvereinbarungen haben bisher in aller Regel eine 100%-Zuschlag vorgesehen. Nun mehr bleibt den ArbeitnehmerInnen nur der gesetzliche Zuschlag von 50%.

Das ist keine Flexibilisierung der Arbeitszeit, das ist keine Modernisierung. Im Gegenteil. Aus einem ArbeitnehmerInnen-Schutzgesetz wird ein Gesetz zur Ermöglichung nahezu grenzenloser Ausbeutung.

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