Eine Interkontinentalrakete aus russischer Produktion wird von einem Soldaten vorgeführt. (picture-alliance/dpa/Itar-Tass/Wladimir Smirnow)

Russische Propagandisten und Militärs drohen dem Westen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Beobachter in Russland befürchten eine Rückkehr zu den Bedrohungsszenarien aus dem Kalten Krieg.

Russlands Chefpropagandist Dmitrij Kiseljow war einer der ersten, der es offen aussprach: Im Frühjahr drohte in seiner populären wöchentlichen Fernsehsendung „Vesti Nedeli“ im Staatssender „Rossija“:

„Russland ist das einzige Land der Welt, das in der Lage ist, die USA in radioaktiven Staub zu verwandeln.“

Gezielte Kampagne Russlands

Im Hintergrund war das Foto eines Atompilzes zu sehen. Viele rätselten, was dieser Tabubruch sollte. Er blieb kein Einzelfall. Zum Jahreswechsel veröffentlichte eine kremltreue nationalistische Jugendbewegung ein Video mit einem Neujahrsgruß. Darin spricht eine Aktivistin von „Neurussland“ und kündigt an:

„Wenn wir verlieren, vernichten wir die ganze Welt.“

Wieder ein Atompilz. Fantasien einzelner Spinner? Der unabhängige russische Militärexperte Alexander Golz spricht von einer gezielten Kampagne. Er erinnert an T-Shirts, die vor Monaten in großer Zahl in Moskau verteilt wurden. Auf der Brust war eine Topol aufgedruckt, die russische Interkontinentalrakete mit Nuklearsprengkopf, sowie die Aufschrift: Eine Topol hat keine Angst vor Sanktionen. Die Kampagne sei zum Teil nach innen gerichtet, meint Golz.

„Es ist der Versuch, die eigene Bevölkerung zu überzeugen, dass Russland, solange es Atomwaffen hat, tun kann, was es will, und nichts fürchten muss.“

Zugleich aber, meint Militärexperte Golz, ziele die Kampagne auf das Ausland.

„Putin und sein Umfeld verstehen nicht, warum Russlands Atomwaffenarsenal – immerhin das zweitgrößte der Welt – kein politischer Faktor ist. Das ist ja wirklich so: Sobald man im Westen begann, an die Vernunft der neuen Kreml-Herrscher zu glauben, etwa seit Jelzin, spielten Atomwaffen keine wichtige politische Rolle mehr. Eine Atombombe in den Händen Nordkoreas hat mehr politisches Gewicht als 1.500 russische Atomsprengköpfe. Für Putin und sein Umfeld gibt es nur einen Weg, das zu ändern: Wir müssen den Westen überzeugen, dass wir so irre sind, eventuell tatsächlich den Knopf zu drücken.“

Da drängt sich die Frage auf, ob dieser Irrsinn kontrolliert ist. Golz:

„Jein. Ursprünglich ist er unter Kontrolle. Aber der Irrsinn oder seine Darstellung haben die Tendenz zur Eskalation.“

Auch Generäle drohen mit Atomschlag

Zumal nicht nur russische Propagandisten mit dem Atomschlag drohen, sondern auch einige Generäle. Einige forderten sie sogar, das Recht auf einen atomaren Präventivschlag in die russische Militärdoktrin aufzunehmen. Das geschah dann allerdings nicht.

Wladimir Putin versicherte vor gut zwei Monaten, Russland drohe niemandem und habe nicht vor, sich in einen teuren Rüstungswettlauf hineinziehen zu lassen. Vergangene Woche kündigte das russische Verteidigungsministerium allerdings an, weiter aufzurüsten, trotz der Wirtschaftskrise. Das Militär soll demnach allein in diesem Jahr mehr als 50 neue, atomar bestückte Interkontinental-Raketen erhalten.

Auch Pavel Felgengauer, Militärexperte der „Nowaja Gazeta“, verfolgt die Entwicklungen mit Sorge und warnt:

„Das Risiko eines Atomkriegs ist nicht gleich null. Das muss man beachten. Es gibt ein ungeheuerliches Nichtverstehen auf beiden Seiten. Unsere Eliten, Putin, verstehen nicht, was den Westen leitet, und der Westen versteht absolut nicht, was hier vor sich geht und was künftig sein wird.“

Putin nutzt Unwissenheit des Westens aus

Putin nutze aus, dass der Westen nicht wisse, wie er mit einer Atommacht umgehen solle, die gegen internationales Recht verstößt, meint der Militärexperte Golz. Es bleibe nur eine Konsequenz:

„Es macht mich sehr traurig: Wir kehren zum alten Modell des Kalten Krieges zurück. Zur konventionellen und atomaren Abschreckung. Das heißt, an den Grenzen Russlands werden konventionelle und atomare Waffen verstärkt werden. Westeuropa ist zwar bisher nicht bereit, seine Militärausgaben zu vervielfachen, aber es wird nicht darum herumkommen. Das wird passieren.“

Von Gesine Dornblüth, Moskau

 

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