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Ein betroffener Mann aus Wien, der mangels Dokumenten nicht nachweisen konnte, kein illegaler Doppelstaatsbürger zu sein, hatte geklagt. Der Verfassungsgerichtshof gab ihm nun Recht. Es ist das erste Urteil Österreichs, das richtungsweisend sein dürfte.

In der Causa um illegale Doppelstaatsbürger türkischer Abstammung liegt nun die erste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vor. Laut dem Urteil ist jenes Wählerverzeichnis, auf dem die Namen Tausender angeblicher illegaler Doppelstaatsbürger auftauchten und dessen Herkunft unklar ist, nicht authentisch und „beliebig veränderbar“ sei. Dass der Inhalt dieses Verzeichnisses eine tatsächliche Wählerevidenzliste wiedergebe, beruhe „ausschließlich auf einer Vermutung“. Eine Untersuchung durch das Bundeskriminalamt (im Auftrag des Innenministeriums) hätte ergeben, dass Ursprung und Authentizität der Daten nicht ermittelt werden konnten. 

Konkret heißt es in dem Urteil:

„…, dass der Datensatz nicht authentisch und hinsichtlich seiner Herkunft und des Zeitpunktes seiner Entstehung nicht zuordenbar ist. Die mangelnde Authentizität und die ungeklärte Herkunft der Inhalte dieses Datensatzes, die festgestelltermaßen dem schreibenden Zugriff von wem auch immer offen standen, schließen es von vornherein aus, dass dieser Datensatz für die Zwecke des § 27 Abs. 1 StbG im Hinblick auf den Beschwerdeführer ein taugliches Beweismittel darstellt.“

Auf dieses erste Urteil des Verfassungsgerichtshofs wurde seit Monaten gewartet, da es Auswirkungen aus Tausende Verfahren in ganz Österreich haben dürfte, die derzeit im Gange sind.

Türkische Behörden kooperieren nicht

Im konkreten Fall tauchte der Name eines Mannes aus Wien auf dem besagten Wählerverzeichnis auf. Ihm drohte der Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft. Er konnte nicht nachweisen, kein illegaler Doppelstaatsbürger zu sein, da ihm die türkischen Behörden die entsprechenden Dokumente nicht aushändigten. Er bemühte daher den Verfassungsgerichtshof, der ihm jetzt Recht gab.

„Ich freue mich, dass wir einen derart wichtigen Erfolg für unseren Mandanten, wohl aber auch für Tausende andere Österreicher und Österreicherinnen erreichen konnten“, sagt sein Anwalt Kazim Yilmaz, der zahlreiche Betroffene betreut. „Der VfGH ist unserer Beschwerde vollinhaltlich gefolt. Der elektronische Datensatz, der von den Behörden und dem Verwaltungsgericht Wien als ,Wählerevidenzliste‘ für die türkischen Wahlen im Jahr 2015 angesehen wurde, ist keine taugliche Beweisgrundlage.“

Vielmehr habe das Verfahren ergeben, dass der Datensatz nicht authentisch und hinsichtlich Herkunft und Zeitpunkt seiner Entstehung nicht zuordenbar sei. Yilmaz: „Nicht zuletzt hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass die Beweislast nicht auf die Betroffenen umgewälzt werden darf – auch, wenn sie einer Mitwirkungspflicht unterliegen.“

Mit diesem Urteil ist laut Yilmaz „Rechtsgeschichte geschrieben worden“. Denn eine anderslautende Entscheidung wäre nicht nur existenzbedrohend für Tausende Österreicher und Österreicherinnen geworden, „sondern hätte auch Österreich als Land geschadet“.

Verwaltungsgerichtshof hatte anders geurteilt

Im Oktober dieses Jahres hatte der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in einem Urteil die Verwendung dieser Liste (die den Behörden von der FPÖ zugespielt worden war) als Beweismittel genehmigt. Allerdings relativierte VwGH-Sprecher Wolfgang Koller schon damals die Bedeutung des Urteils. Der Beschluss sei kein „Persilschein“ für die Verwendung dieser Listen. Es handle sich nämlich nur um eine Einzelfallentscheidung und die Authentizität der Liste sei in dieser Beschwerde gar nicht angezweifelt worden.

Der VwGH habe die Beweiswürdigung der Vorinstanz Landesverwaltungsgericht Salzburg daher nur grob überprüft und als „nicht unschlüssig“ akzeptiert, betonte Koller. „Das heißt aber nicht, dass im nächsten Fall nicht herauskommen kann, dass sie (die Liste, Anm.) nicht echt ist.“ Wenn in einem anderen Verfahren andere Tatsachen hervorkommen und die Revision gut präsentiert werde, könne es daher durchaus sein, dass der zuständige Senat zu einem anderen Schluss komme.

Bisher knapp 100 Aberkennungen

Die Überprüfung der Liste hat bisher mindestens 85 Austro-Türken den österreichischen Pass gekostet. Rund 100 Aberkennungen sind noch nicht rechtskräftig. Deutlich größer ist aber die Zahl jener Österreicher mit türkischen Wurzeln, die legal über die Doppelstaatsbürgerschaft verfügen. Vollständig sind diese Zahlen nicht, denn die Kärntner Landesregierung machte keine Angaben. Außerdem weist Salzburg darauf hin, dass sich die Zahlen laufend ändern (etwa durch Übersiedlung in andere

Köksal Baltaci 

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