Am Rand des 14. Bezirks, in einer Nachkriegssiedlung, lebt ein Veteran aus beiden Tschetschenienkriegen. Treffen mit dem 57-jährigen Huseyn Iskhanov in seiner kleinen Wohnung, wo er mit seiner Frau und sechs Töchtern wohnt. Im Bücherregal „Archipel Gulag“, an der Wand ein Bild von tschetschenischen Bergkriegern. Zwischen dem ersten und zweiten Tschetschenienkrieg war er Abgeordneter in Grozny. Er kann sich gut an die Wahhabiten erinnern, die islamistischen Freischärler aus Saudi-Arabien, die in den beiden Tschetschenien-Kriegen gegen die Russen aufmarschierten.

„Auf Arabisch, der heiligen Sprache, schwangen sie schöne Reden vom Paradies. Das war wie Hypnose. Sie hatten tolle Uniformen, aßen Snickers. Wir hatten altes Brot und zerfetzte Uniformen. Jeder wollte sein wie sie.“

Die verlorene Generation
In Syrien können sich junge Tschetschenen nun wieder arabische Vorbilder suchen – die sie nicht selten mit einem guten Söldner-Salär belohnen. Iskhanov stört das. Er hätte damals am liebsten auch gegen die Wahhabiten gekämpft und sie aus Tschetschenien geworfen. Denn „in Tschetschenien hab ich diesen Fanatismus vorher nicht gesehen. Das hat keine Tradition bei uns. So sind wir nicht. Die Araber haben eine ganz andere Mentalität.“ Wahhabiten hätten sich nicht in die tschetschenische Armee eingefügt, aber man habe sie gebraucht. Nun rät er Jugendlichen, Distanz zu den „Arabern“ zu halten. „Wir kämpften in Tschetschenien für die Freiheit, nicht für den Heiligen Krieg.“

Auch Iskhanov hat seine Antwort auf das „Warum“: „Es ist eine verlorene Generation.“ Er meint Tschetschenen, die mit zehn Jahren oder älter nach Österreich kamen. Die Flucht habe oft Jahre gedauert, mit Zwischenstopps in Aserbaidschan, Weißrussland, Polen. Verlorene Jahre ohne Schule, Alphabet, Bücher, Heimat, Geschichte. „Wenn Dein Kopf leer ist, kommt jemand und füllt ihn.“ Bei IS sei in Wirklichkeit die Helden-Romantik ansteckend, nicht die Religion.

Sprache verstummt
Iskhanov würde die Köpfe der Jungen stattdessen lieber mit Geschichten über Tschetschenien füllen, denn er fürchtet um die Erinnerung an die Heimat. Deren wichtigste Säule, die Sprache, bröckelt. Die Jungen sprechen sie nur noch versatzstückhaft. Für jene, die als Kleinkinder oder Babys flüchteten und ab sechs Jahren hier in die Schule gingen, ist Deutsch oft die einzige Sprache.

Wird diese neue Generation dank besserer Ausbildung den Ruf der Tschetschenen reparieren? Und welche Zukunft hat die „verlorene Generation“?

„Sie werden älter und am Bau ihr Geld für die Familie verdienen müssen. Dann ist es rasch vorbei mit der Romantik“, hofft der Veteran. „Am besten wären sie beim Heer aufgehoben. Ich garantiere, Tschetschenen würden mit ihrem Kämpferherz an vorderster Front für Österreich kämpfen.“

Tschetschenen, die jetzt Ärger machen, als Patrioten? „Mit dem Abstand zum Krieg tritt eine Normalisierung ein. Das war bei Ex-Jugoslawen auch so“, sagt Terler. „Afghanen und Iraker, die jetzt kommen, sind noch traumatisierter, dagegen sind Tschetschenen fast wieder normal.“ Vielleicht sind sie doch nicht so anders.

 

http://www.wienerzeitung.at/