Der Attentäter von Christchurch entwickelte einen Großteil seines Weltbilds offenbar in einer kruden Onlinewelt aus Rassismus, Ballerspielen und Memes – und findet damit ein riesiges Publikum. Bei seiner ersten Anhörung im Gerichtssaal lächelt er.

Mit Handschellen gefesselt und in weiße Gefängnissachen gehüllt ist der Attentäter von Christchurch am Samstag dem Haftrichter vorgeführt worden. Er habe ein Lächeln auf den Lippen gehabt, als er die Pressefotografen sah, berichtete die Zeitung „New Zealand Herald“. Der Mann, der mittlerweile als 28 Jahre alte Australier Brenton T. identifiziert wurde, ist des Mordes angeklagt. Die Zahl seiner Opfer lag am Samstag bei 49. Es ist eine der höchsten Opferzahlen durch einen rechtsextremistischen Anschlag überhaupt.

Mittlerweile sind auch einige weitere Details über den Australier bekannt geworden: So soll der Mann aus dem Ort Grafton stammen, im australischen Bundesstaat New South Wales. Dort hatte er jahrelang als „Personal Trainer“ in einem Fitnessstudio gearbeitet. Er soll vor ein paar Jahren Geld geerbt haben und darauf verschiedene Länder bereist haben, unter anderem auch in Europa.

Wahrheit unter einen Haufen „Shitpostings“ vergraben

Ein „Manifest“, das dem Australier zugeschrieben wird, und das er vorher im Internet veröffentlicht haben soll, lässt darauf schließen, dass sein Weltbild auch durch einen kruden Mix aus Rassismus, Computerspielen und sogenannten Memes geprägt wurde. Diese Memes sind eine Art Insider-Witze für Internetnutzer. Offenbar hatte er den Anschlag sogar in dem Internetforum 8chan angekündigt. Es sei Zeit, nicht mehr nur „Shitpostings“ zu veröffentlichen, sondern in der realen Welt zu handeln, schrieb er einem Pressebericht zufolge. Das sogenannte Shitposting ist die massive Verbreitung kruder Theorien über das Internet. Dabei kommt es weniger auf die Qualität, als auf die Quantität an.

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Video: Reuters

Tatsächlich gibt es in dem „Manifest“ Hinweise auf eine rassistischen Ideologie, etwa wenn er gegen die Geburtenrate von Muslimen wettert und sich selbst als „Öko-Faschist“ bezeichnet. Vieles dient aber wohl nur dazu, eine Reaktion zu provozieren. Das 74 Seiten umfassende Schriftstück ist in einem schwer erträglichen, halb ironischen Stil verfasst.

Der Blogger Robert Evans vergleicht es mit dem Gezeter eines Internettrolls. „Dieses Manifest ist eine Falle, ausgelegt für Journalisten, die hinter dem fürchterlichen Verbrechen einen Sinn suchen. Die Wahrheit ist da drinnen, darunter wertvolle Hinweise auf die Radikalisierung des Schützen. Aber sie sind unter einem Haufen von, man kann es nicht anders sagen, ‚Shitposting‘, vergraben“, schrieb er auf seinem Blog Bellingcat.

Der Attentäter von Christchurch formt ein „Okay“-Zeichen mit seinen Fingern, als er dem Haftrichter vorgeführt wird.
Der Attentäter von Christchurch formt ein „Okay“-Zeichen mit seinen Fingern, als er dem Haftrichter vorgeführt wird. :Bild: dpa

In der Selbstdarstellung des Terroristen wimmelt es von Anspielungen auf die Ideen einer degenerierten Onlinewelt. Offenbar sah er gerade in Foren wie 8chan, der Nachfolger des einst ebenso notorischen 4chan, ein Publikums für seine Tat. Dafür spricht auch die Art, wie er seinen Anschlag inszenierte. Indem er sich eine Kamera an den Kopf schnallte und seinen Amoklauf live auf Facebook übertrug, sicherte er seinem blutigen Schaffen maximale Aufmerksamkeit.

Anspielungen auf Internetphänomene

Schon Tage vorher soll er über Twitter Bilder von den Waffen gepostet haben, die dabei zum Einsatz kommen sollten. Die Schriftzüge, mit denen er seine Automatik-Gewehre überzogen hat, nehmen teilweise direkt Bezug auf bestimmte Internetphänomene. So etwa der Schriftzug „Remove Kebab“, der auf ein altes serbisch-nationalistisches Propaganda-Video hinweist. Dieses Video ist offenbar unter rechtsradikalen Internetnutzern einschlägig bekannt.

Am Anfang seiner tödlichen Jagd durch die Al-Nur-Moschee in Christchurch nahm der Australier in seinem Live-Video außerdem direkt Bezug auf eines dieser Online-Memes. „Denkt daran, Freunde, abonniert PewDiePie!“, sagte er. Es war eine offensichtlich ironische Referenz an den Youtube-Channel des Schweden Felix Kjellberg.

Der mit 89 Millionen Abonnenten zu den größten Stars der Youtube-Szene gehörende Schwede war schon früher Anlass für Kontroversen. So hatte er nach einem Bericht der „New York Times“ Videos veröffentlicht, die als antisemitisch kritisiert worden waren. Der Youtuber distanzierte sich aber sogleich von der Tat. „Ich fühle mich krank, weil diese Person meinen Namen gestammelt hat. Mein Herz und meine Gedanken sind mit den Opfern, ihren Familien und allen, die von dieser Tragödie betroffen sind“, schrieb er auf Twitter.

Ein Bild aus dem im Internet verbreiteten Video zeigt den mutmaßlichen Schützen des Angriffs auf die Al-Noor-Moschee in Christchurch.

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Video: AFP

Leider muss man feststellen, dass der Terrorist sein Publikum gefunden hat. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram hatten am Freitag Probleme, die Verbreitung des Anschlagsvideos zu verhindern. Das vielfach kursierende Video erinnert sehr stark an die Optik einschlägiger Ballerspiele. In dem „Manifest“ verneinte der Autor gleichwohl schon einmal vorsorglich, dass er auf diese Weise seine Tat vorbereitet habe. „Fortnite hat mir beigebracht, ein Killer zu sein und auf den Leichen meiner Feinde zu flossen. Nein.“, schreibt er. „Flossen“ ist ein Tanz, der aus dem Online-Spiel Fortnite stammt und es auch darüber hinaus zu einiger Berühmtheit gebracht hat.

Die Anspielung auf solche populären Internet-Phänomene dient als Verstärker für die Hassbotschaften. Dabei stehen auch viele Medien vor dem Dilemma, ob sie überhaupt darüber berichten sollten, um möglichst komplett aufzuklären, oder ob sie sich damit nicht von einem Terroristen instrumentalisieren lassen.