Wladimir Putin hat ein besonderes Verhältnis zu Hamburg. Er ging in der Hansestadt ein und aus, als er noch weitgehend unbekannt war. Und im Rathaus sorgte er einst für einen Eklat. Nun kommt er wieder: zum G20-Gipfel.
Wolfgang Rosenbauer steht auf der Dachterrasse von Philips Medical Systems und schaut auf Flugzeuge am Horizont. Der Sitz seines früheren Arbeitgebers im Hamburger Norden liegt nah am Flughafen. „Sie alle werden hier landen „, sagt der Mann mit den schneeweißen Haaren. Gemeint sind die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder, die zum Gipfel am 7. und 8. Juli in die Hansestadt kommen. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin wird dabei sein. Rosenbauer hat ihn vor rund 25 Jahren in einem Gebäude nebenan empfangen.
Gezielte Fragen, kaum ein Wort Deutsch
Anfang der 1990er Jahre war Rosenbauer Vize-Präsident für Osteuropa bei Philips Medizin. Der niederländische Konzern begann damals ein Großprojekt in Russland. Es ging um den Aufbau einer medizinischen Geräteindustrie im Volumen von rund einer Milliarde damaliger D-Mark. Doch es gab Schwierigkeiten. Einem Werk bei St. Petersburg, das Strahlenkanonen für die Krebsbekämpfung produzieren sollte, fehlten Geld und Material. Rosenbauer suchte Kontakt zu Putin, damals stellvertretender Bürgermeister St. Petersburgs und zuständig für Außenbeziehungen.
Da Hamburg und St. Petersburg Partnerstädte sind, reiste Putin in jener Zeit mehr als ein Dutzend Mal in „die schönste Stadt in Deutschland“, wie er die Elbmetropole nannte. Bei einem Besuch um 1992 habe er Putin auf ein Abendessen in ein traditionsreiches Steak-Restaurant eingeladen, das es heute nicht mehr gibt. Der Gast aus St. Petersburg habe „so getan, als würde er überhaupt kein Deutsch verstehen“ und das Gespräch von einem Mitarbeiter übersetzen lassen. Dabei war Putin in den 1980er Jahren als Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB in einer anderen Stadt an der Elbe stationiert, Dresden, und sprach fließend Deutsch. „Am Ende guckte er mich an und sagte: Prima, geben Sie mir die Papiere. Auf Deutsch.“
Rosenbauer erklärt die Erfahrung mit Putins „naturgegebenem Misstrauen“ und seiner „KGB-Prägung“. „Sein Verhalten war äußerst kontrolliert, er sagte selber nichts, er fragte“, erinnert er sich. Diese „Fokussiertheit“ habe ihn beeindruckt. Putins KGB-Vergangenheit sei ihm bewusst gewesen und habe „überhaupt nicht gestört.“
Ein zuverlässiger und schwieriger Partner
Ob Putin dem Projekt am Ende geholfen hat? „Das erübrigte sich dann, denn es fing an zu laufen“, sagt Rosenbauer. „Es kam eine Nachricht aus Moskau: Es funktioniert jetzt, nichts mehr tun“.
Später traf Rosenbauer Putin mehrmals an diversen Orten, auch im Rathaus: „Er hätte auch fliegen können, so schnell raste er über die Gänge.“ „Wenn die Stadt Hamburg etwas wollte, machte sie alles über Putin und das funktionierte dann“, erzählt der Geschäftsmann, der heute als Berater tätig ist. Ein Hamburger Beamter, der einige Male Putin traf, beschreibt ihn so: „Wir konnten uns auf sein Wort verlassen, das war damals keine Selbstverständlichkeit.“ Putin sei aber „auch ein schwieriger Partner“ gewesen.
Ein Türknall , der bis heute schallt
Einmal erlebte Hamburg Putin auf eine besondere Art, die bis heute für Verwunderung sorgt. Seit 1356 wird in der Hansestadt das sogenannte Matthiae-Mahl gefeiert. Hunderte prominente Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur versammeln sich im historischen Rathaus, um zu speisen. „Das ist eine sehr alte Einrichtung, sehr getragen, sehr vornehm“, erklärt Wolfgang Rosenbauer. „Bei der Veranstaltung benimmt man sich, es steht der Silberschatz der Stadt Hamburg auf den Tischen, die Leute sitzen da in Frack und in besten Kleidern. Man pflegt ausgesprochen hochrangigen Smalltalk.“
Am 25. Februar 1994 ist auch Putin dabei. Als einer der Ehrengäste, der damalige Präsident Estlands Lennart Meri, eine Rede hält, macht Putin etwas, was bei diesem Festakt noch nie passierte: Er steht auf und geht. „Mit durchgedrückten Knien, einen verächtlichen Blick auf den Gastgeber werfend, so verlässt er den Saal, jeder Schritt begleitet vom Knarzen des Parketts“, so beschreibt die Szene eine ZEIT-Korrespondentin. „Ein Raunen folgt ihm. Wer war’s? Was hat denn der? Schon donnert die Tür ins Schloss.“
Wolfgang Rosenbauer war zwar an dem Tag nicht dabei, doch er kennt Berichte von Augenzeugen: „Es war schon ein Schock“. Was genau sagte Meri, das Putin sich so ärgerte? Die Rede liest sich wie eine Prophezeiung dessen, was 20 Jahre später auf der Krim geschah. Und Putins Reaktion zeigt, dass er deutlich vor seiner Münchner Rede 2007 ein Signal an den Westen schickte. Der estnische Präsident verwies damals auf ein Papier des Außenministeriums in Moskau: „Es stellt fest, dass das Problem der ethnischen russischen Gruppen in benachbarten Ländern von Russland nicht allein mit diplomatischen Mitteln gelöst werden könne.“ Andere Mittel seien für Moskau denkbar, schlussfolgerte Meri. Er warnte vor Russlands „neo-imperialistischer Politik“ und appellierte, osteuropäische Staaten, auch die Ukraine, in die „demokratische Welt“ zu integrieren.
Kein Ehrendoktor für Putin
Zehn Jahre später gab es noch einen Eklat um Putin in Hamburg. Sein Besuch als Präsident war für September 2004 geplant. Gerhard Schröder war damals Bundeskanzler und Putins Duzfreund. Anlässlich des Besuchs wollte die Hamburger Universität Putin die Ehrendoktorwürde verleihen.
Doch es gab Wiederstand. Rolf von Lüde war einer von rund 60 Professoren, die einen Gegenaufruf unterzeichneten. „Die wesentlichen Aspekte dieser Petition waren, dass unter Putins Verantwortung ein zweiter Krieg in Tschetschenien angezettelt wurde“, sagt der emeritierte Professor. Außerdem habe man auf autoritäre Herrschaft, Druck auf Medien, NGOs und Oppositionspolitiker hingewiesen. Jetzt fühlt sich von Lüde bestätigt: „Was wir damals reklamiert haben, lässt sich heute tagtäglich in Russland beobachten – und Putin ist der Verantwortliche.“
Die Universität hat die Verleihung kurzfristig aus Termingründen abgesagt. Auch Putin kam nicht und begründete es mit dem Terroranschlag in Beslan, bei dem Hunderte starben. Der Besuch wurde im Dezember nachgeholt.
Jetzt dürfte Hamburg den russischen Staatschef mit gemischten Gefühlen empfangen. „Die Bevölkerung ist gespalten“, sagt der Soziologe von Lüde. Putins Empfang in Hamburg dürfte diesmal kühler ausfallen.
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