Leo Jaba during a game away against FC Rostov. Photo: Светлана Бекетова

Vier junge Brasilianer hoffen im Kaukasus bei Grozny auf den Durchbruch. Dabei sind sie nur Spielzeuge des grausamen Präsidenten Ramsan Kadryow.

HINTERGRUND

Als Leo Jaba vier Wochen vor seinem 19. Geburtstag auf dem Rücksitz einer Limousine mit verspiegelten Scheiben vom Flughafen in die Innenstadt der russischen Stadt Grozny fuhr, sah er draußen seine neue Heimat vorbei fliegen. Baustellen, Moscheen, eine Stadt im Wandel. Immer wieder passierte der Wagen Plakatwände, groß und protzig, kaum zu übersehen. Darauf lächelte ein jugendlich wirkender Mann mit Bart und braunen kurzen Haaren. Freundlich sah er aus. Und wichtig. Jaba wandte sich ab und staunte stattdessen über die Hochhäuser in der Innenstadt, über den Luxus, den sein neuer Verein Akhmat Grozny ihm bot.

Erst später bemerkte er, dass der Mann auf den Plakaten der tschetschenische Präsident Ramsan Kadryow ist. Der Mann, der möglich macht, dass auf Jabas Konto künftig eine Summe eingeht, von der er in Brasilien nur träumen konnte. Denn bis 2011 war Kadryow Groznys Präsident, heute versorgt er den Klub weiter mit großzügigen Subventionen, fädelt Millionendeals zwischen Akhmat Grozny und Energie-Giganten oder Immobilien-Firmen ein. Wie ein Puppenspieler hat er auch noch immer die Fäden der Fußballmannschaft, die der ganze Stolz der autonomen Republik Tschetschenien ist, in der Hand.

Hoffnung, es Costa und Willian gleich zu tun

Leo Jaba ist die tausenden Kilometer in den Kaukasus nicht alleine gekommen. Gleich vier Brasilianer verpflichtete Grozny in diesem Sommer. Neben Jaba, der von Corinthians erworben wurde, tragen auch Ravanelli (20), Philipe Sampaio (22) und Ismael Silva (22) künftig das grüne Trikot. Sie folgen dem Pfad der Träume wie so viele andere Südamerikaner. Sie sind alle jung und talentiert – und hoffen auf einen Weg, wie ihn Douglas Costa oder Willian gegangen sind. Sie haben es aus Osteuropa zu den großen Klubs geschafft, die Jaba mit seinen Freunden oft im Fernseher sah, wenn Champions League lief.

 Sie alle kommen in den Kaukasus, weil Grozny mit fetten Gehältern lockt und weil hier eine Zwischenstation auf dem Weg zum Star liegen soll. Was sie alle nicht wissen: Kadryow ist ein Autokrat, dem schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, und nicht nur der Wohltäter, als der er sich gerne präsentiert.

Mord, Folter, Verfolgung

Unter seine Ägide werden Menschen verfolgt, gefoltert und ermordet. Geflüchtete berichten von Folterkellern, Todeslisten, Auftragsmorden, Verhaftungen von Oppositionellen. Unbehelligt und aus Moskau stets gestärkt, führt er ein Despotenleben, hat über zehn Autos und über 100 Pferde. Insider berichten, dass durch großflächige Korruption die Justiz und der Polizeiapparat vollständig in seiner Hand ist. So ist er mit dem Polizeipräsidenten gut befreundet und wohnte den Feierlichkeiten bei, als dieser ein erst 17-jähriges Mädchen ehelichte – eine Zwangsheirat, wie mehrere Quellen berichten.

Der erst 40-jährige Sohn des ermordeten früheren Präsidenten Akhmat Kadryow führt die Region seit 2007 mit eiserner Hand, die Zahl der Vermissten und Ermordeten ist seitdem drastisch gestiegen. Im April 2017 wurde das erste Konzentrationslager für Homosexuelle seit der Zeit des Nationalsozialismus errichtet. Und das ist noch nicht alles: Er und der Bürgermeister Groznys, Muslim Chutschiejew, kündigten mehrfach an, Menschen „mit unerbittlicher Härte“ zu bestrafen, die Verwandte „in den Wäldern haben“.

Gemeint damit sind Rebellen, die für die Unabhängigkeit Tschetscheniens kämpfen. Denn, und auch das wissen die Samba-Kicker nicht über ihre neue Heimat, auf dem Boden, auf dem sie künftig leben und trainieren werden, floss viel Blut. Von 1999 bis 2009 tobte der 2. Tschetschenienkrieg zwischen Russland und der Tschetschenische Republik Itschkerien. Zwischen 50.000 und 80.000 Menschen starben, Grozny wurde zu großen Teilen zerstört. Wie bereits im 1. Krieg gingen grausame Berichte und Bilder von Massengräbern und Hinrichtungen von Zivilisten um die Welt.

Ramsan Kadryow

Kadryow will nach Europa – schnell

Und ein Mann, der nach dem Ende des Krieges mutmaßlich weiter über Menschenleben richtet und Andersdenkende foltert und ermorden lässt, will nun auch auf sportlicher Ebene wieder Ruhm. Der größte Erfolg, das Erreichen des UEFA Cups 2004, hatte die ganze Region elektrisiert.

Kadryow will eine Wiederholung davon, er will nach Europa. Um jeden Preis. Um der Welt zu zeigen, dass man hier, in einem Teil Europas, der manchmal wie vergessen anmutet, in der Lage ist, Großes zu schaffen. Dafür werden Millionen in ein Scouting-Netzwerk gesteckt. Er hat einen der Chefscouts von Donezk für viel Geld abgeworben und seine Späher – und man muss „seine“ sagen, auch wenn er nicht mehr offiziell Präsident ist, sondern sein Vize – jetten um die Welt, um Akteure zu finden, die Grozny in die Champions League führen sollen. Akteure wie Leo Jaba.

Jaba und Co. begeistern zu Beginn

Der nun 19-Jährige ist brasilianischer U20-Nationalspieler wie auch Ravanelli. Er hat ein brillantes Auge, ist pfeilschnell, schlägt Haken und nimmt den Ball manchmal in vollem Lauf mit der Hacke an, so wie Neymar, der Superstar, dessen Pendant sie alle hoffen, zu entdecken. „Ich wette, ihm und seiner Familie wurde viel Handgeld angeboten“, wetterte Corinthians-Präsident Roberto de Andrade. Denn es ist zwar Usus, dass Talente aus Brasilien wie Ware nach Europa verschachert werden, Jaba hätte er aber gerne noch ein bisschen behalten. Denn der schmale Youngster kann richtig kicken!

Das zeigte er gleich am ersten Spieltag, als er beim 2:0 gegen Amkar Perm trifft. Es läuft gut, die Fans sind begeistert von den neuen Stars, fast 30.000 kommen zum Auftakt. Sie tanzen auf der Tribüne, jubeln euphorisch, rufen „Allahu Akhbar“ in die russische Abendluft. Endlich geht es wieder bergauf. Denken alle. Auch Kadryow. Die ersten drei Partien werden ohne Gegentor gewonnen. Dann aber strauchelt das Team von Oleg Kononov. In den letzten sieben Spielen wurde nur einmal ein Dreier eingefahren.

Kadryow droht dem Trainer …

Der 51-Jährige presst Jaba und Co. In ein enges taktisches Gerüst – zu viel für die jungen Kreativspieler. Denn alles ist neu: die Mentalität, die Sprache, der Kaukasus ist Exotik pur für familienverbundene, junge Männer, die nichts anderes kennen als ihre Heimat. Zudem wird es nun rasant kälter. Während es im Sommer in Grozny 30 Grad hat, fallen die Temperaturen ab August im Schnitt um rund acht Grad im Monat.

Kadryow ist sauer. „Ich erwarte, dass sich das Team klar steigert und schnell wieder eine klare Idee auf dem Platz zu sehen ist“, sagte er unlängst. Eine unmissverständliche Drohung. An Trainer Kononov. Denn Trainer werden in Grozny schnell gefeuert. So auch Ruud Gullit im Jahr 2011. „So hoffnungslos habe ich Terek (so hieß der Klub, ehe Kadryow den Namen seines Vaters in den Vereinsnamen integrierte, Anm. d. Red.) noch nie spielen sehen“, sagte der wütende Despot im Anschluss.

Zudem kritisierte er die niederländische Legende, zu viel im Nachtleben unterwegs gewesen zu sein. Etwas, das auch den Brasilianern blühen könnte. Denn es wird immer früher dunkel, Freunde und Familie sind weit weg. Da locken die Nachtclubs, in denen Milliardäre und schöne Frauen ein und aus gehen. So wurde der Brasilianer Rodolfo mit einer Geldstrafe belegt, weil er nachts lange feiern war.

Leo Jaba

… und den Spielern

Die subtile Drohung gilt selbstredend auch den Spielern. Denn bringen sie keine Leistung, werden eben neue eingekauft. Dann müssen Jaba und Co. sehen, wie es weiter geht. Zwar wurde der Linksaußen mit einem Fünfjahresvertrag ausgestattet, sollte das neue Gesicht einer Ära werden. Zuletzt blieb er aber blass, in neun Spielen gelangen ihm nur zwei Tore. Ganz schnell könnte er ausgebootet werden. So wie Pedro Ken. Der 30-Jährige wurde fallen gelassen von Grozny, obwohl er der Kern eines neuen Teams werden sollte. Er war plötzlich vereinslos, kam mit Mühe und Not in der 2. brasilianischen Liga unter. Ähnlich war es bei Rubenilson Kanu, der nach Thailand floh, als er keinen neuen Vertrag erhielt.

 Geduld hat Kadryow jedenfalls nicht. „Ich will Ergebnisse sehen“, sagt er. Leo Jaba, Ravanelli und die anderen setzen ihre Karrieren aufs Spiel, weil sie nicht zu einem sukzessive gewachsenen Top-Team wie Donezk wechselten, sondern zum Werkzeug eines diktatorischen Wahnsinnigen, dem es um Erfolg geht, nicht wie Donezk auch um kluges Wirtschaften und um den Aufbau eines Projektes, wie es Mircea Lucescu vollbrachte.

Karriere am seidenen Faden

„Wichtiger als zurückzublicken, ist, stolz auf den Weg zu sein, den du gegangen bist“, schreibt Jaba auf Instagram . Oder: „Möge Gott und segnen und beschützen“. Auf dem Bild dazu trägt er das Grozny-Trikot und jubelt. Über ihm aber ergießen sich Gewitterwolken, die dunkel und bedrohlich wirken. Mehr Symbol geht nicht. Denn seine Karriere hängt am seidenen Faden.

Und wer weiß? Vielleicht ist schon nach der Saison Schluss. Schließlich zahlt Grozny ihm ein fürstliches Gehalt. Dann gilt er, noch bevor seine Karriere richtig angefangen hat, als einer, der es in Europa nicht geschafft hat. Weil der Druck zu groß war, er zu wenig Zeit bekam. Dann geht es wieder in Richtung Flughafen. Vorbei an den Baustellen, Moscheen und Hochhäusern. Und am Gesicht eines Mannes, von dem er inzwischen weiß, wer er ist. Ein Mann mit Bart und nettem Gesicht. Ein Mann, der mutmaßlich ein Schwerverbrecher ist. Ein Mann, in dessen Händen das Schicksal von vier jungen Brasilianern liegt.

Maximilian Schmeckel

 

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