Wer durch die Schule des Marxismus gegangen ist, dürfte wenig Ahnung davon haben, was denn dieser Marx gedacht hat, und wie, besonders, wie er gedacht hat. Engels der selbsternannte Vertreter des Proletariats: «Das Proletariat thut, wir wissen nicht was, und können’s kaum wissen.» Man schrieb das Jahr 1847. In diesem Jahr und in diesem seligen Geisteszustand wird Engels gemeinsam mit Marx «Das Manifest der Kommunistischen Partei» verfassen. So werden sie zu den Begründern des Marxismus:

Aber war Marx auch Marxist? Zumindest war Karl Marx kein Proletarier. In seinem Leben kann man beim besten Willen keine reale – und nicht verbale – Neigung zum proletarischen Milieu entdecken. Er heiratete Jenny von Westphalen, die Tochter einer alten und bekannten Aristokratenfamilie. Für seine Töchter wollte er unbedingt vermögende Ehemänner finden und sparte weder Mühe noch Geld, um dies zu erreichen. «Ich wohne … zu teuer für meine Verhältnisse» Schrieb er an Engels. «Aber es ist das einzige Mittel, damit die Kinder … Beziehungen und Verhältnisse eingehen können, die ihnen eine Zukunft sichern können. Ich glaube, Du selbst wirst der Ansicht sein, dass, selbst bloß kaufmännisch betrachtet, eine reine Proletariereinrichtung hier unpassend wäre …»
Der Demiurg der kommunistischen Lehre vertiefte sich in eine detaillierte Analyse der Finanzverhältnisse von Paul Lafargue, den Bewerber um die Hand der Tochter Laura. Später kaufte das Ehepaar Lafargue ein Gut in der Nähe von Paris: ein herrschaftliches Haus mit 30 Zimmern, einem Haus für das Personal, einem Gästehäuschen und einer Orangerie mit einem großen Park. Die Lafargues empfingen viele Gäste. Unter ihnen waren, im Jahre 1910, Lenin und seine Frau Krupskaja, die mit Interesse sahen, wie man die Glorie eines Marxisten und Vertreters des Proletariats mit den Annehmlichkeiten eines feudalen Lebensstils vereinbaren kann. Engels‘ Zusammenleben mit einem Mädchen aus proletarischen Verhältnissen, Mary Burns, quittierte Marx mit Spott und Befremden.
«Wir würden unser Geld nämlich lieber nicht in Frankreich anlegen. Engels sagte uns, falls wir es wollten…“ Bei aller Bewunderung für die französischen Revolutionäre zog man in der Familie vor, das Geld lieber ins nichtrevolutionäre England zu überweisen. Und der Verfasser des Kapitals organisierte diese Kapitalflucht – mit Hilfe von Engels.
Nun, dies ist das Private. Vielleicht verhielt sich Marx in den wissenschaftlichen und politischen Fragen anders? Nein. Marx schrieb im industriellen London jahrzehntelang über die Ausbeutung des Proletariats durch die Aneignung des von ihm geschaffenen Mehrwerts und über die materielle Produktion als der Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung. Es grenzt ans Unwahrscheinliche, aber er machte sich im Laufe dieser Jahre keine einzige Stunde frei, um einmal in eine Fabrik zu gehen und sich von dieser Produktion eine reale Vorstellung zu verschaffen. Daher sind alle im Kapital angeführten Beispiele über einen Arbeiter, der ein Stück Tuch herstellt, so abstrakt theoretisch. Seine Informationen über die Arbeit in einer Fabrik stammten aus einem Brief von einem gewissen Henry Erman, dem Partner von Engels und dem Inhaber einer Spinnerei. Über diesen Brief aus dem Jahre 1860 schrieb Engels: «Hier hat H.E. Dir offenbar aus dem Kopf eine ganz absurde Geschichte hingeschrieben.» Diese Geschichte wurde allerdings im ersten Band des Kapitals schon verwertet.
Marx ging nicht von der Realität der Fabrikarbeiter aus, er suchte nur Beispiele, um seine Thesen zu unterstützen. So schreibt er an Engels: «kannst du mir z.B. von Eurer Fabrik aller Sorten Arbeiter (ohne Ausnahme, except the warehouse) schreiben, die darin beschäftigt sind, und in welcher Proportion zueinander? Ich brauche für mein Buch nämlich ein Beispiel, um zu zeigen, dass in den mechanischen Ateliers die Teilung der Arbeit, wie sie die Grundlage der Manufaktur bildet und von A. Smith beschrieben ist, nicht existiert … Es handelt sich um ein beliebiges Beispiel.» Und nach dem Erscheinen des Kapital schreibt Marx mit entwaffnender Offenheit: «Dear Fred, Einliegend von Kugelmann erhaltnen Brief eines jungen Bielefelder Fabrikanten. Namentlich amüsiert mich dessen Ideen, dass ich früher selbst Nähmaschinen employing manufacturer gewesen sein müsse. Wenn die Leute wüssten, wie wenig ich von all dem Zeug weiss.»
Und über das Politische schrieb er selbst an Engels: «Ich fühle durchaus kein Bedürfnis, mich den deutschen Arbeitern zu zeigen, und komme nicht zu ihrem Kongress.» Hier nur ein paar Kostproben aus Engels‘ Briefen. 31. Dezember 1857: «Am Samstag war ich Fuchsjagen, sieben Stunden im Sattel. So eine Geschichte regt mich immer für ein paar Tage höllisch auf … Im ganzen field sah ich nur zwei, die besser ritten als ich …» 11.Februar 1858: «Ich habe mich gestern verleiten lassen, zu einem Coursing meeting zu reiten, wo Hasen von Windhunden gehetzt werden und war sieben Stunden im Sattel … Ich habe sehr viel Übung jetzt und bessere mich täglich, mein Renommee etabliert sich auch mit der Zeit.»
Was hatte das alles mit dem Proletariat zu tun? Nur, dass es aus dem von Arbeitern produzierten Mehrwert bezahlt wurde – wenn man dies gerade vom marxistischen Standpunkt aus betrachtet. Vom selben Mehrwert lebte auch Marx – sein Leben lang. Kein einziges Mal erwähnte der Schöpfer der Mehrwertlehre den Ursprung seines Einkommens als Ergebnis der Ausbeutung der Arbeiter. Die unternehmerischen Erfolge von Engels betrachtete Marx amüsiert und mit Sympathie. Er schrieb: «Lieber Frederic, Du bist also jetzt Börsenmitglied und altogether respectable. My gratulations. Ich möchte Dich wohl einmal mitten unter diesen Wölfen heulen hören.» Dass man mit den Wölfen heulen muss, bezweifelte der Vater des Marxismus nicht. Vielmehr war er der Ansicht, «dass Gesinnung und Geschäftsführung durchaus polarisch entgegengesetzt sind.»
Das fühlten auch die Mitglieder des Bundes der Kommunisten. Es klingt fast unwahrscheinlich: Im Herbst 1850 wurden Marx und Engels, die Verfasser des «Manifestes der Kommunistischen Partei» aus ebendieser Partei ausgeschlossen. Hier ist der Wortlaut des Beschlusses: «In Erwägung, dass Marx und Engels sich eine Anzahl junger Halbliteraten zu persönlichen Anhängern heranbilden, durch welche sie den Bund zu beherrschen suchten; in Erwägung, dass Marx und Engels den Bund in dieser Weise zu einem Mittel persönlicher Macht zu organisieren such und andererseits ihn überall vollständig vernachlässigen, wo derselbe ihnen nicht unmittelbar nützlich ist … in Erwägung endlich, dass die sog. Schriftstellerische Koterie zwar außerhalb des Bundes für unsere Sache von Nutzen sein kann, innerhalb desselben aber jede Organisation, jede Einigung, jedes Haneln unmöglich macht, hat der Kreis London, bestehend 40 Mitgliedern, einstimmig folgende Beschlüsse gefasst. 1. Die bisherigen Mitglieder der Zentralbehörde sind ihrer Funktion enthoben; 2. Die Bürger Marx, Engels, Schramm, Wolff, Seiler, Liebknecht, Pieper, Pfänder, H. Bauer und Eccarius sind aus dem Bund ausgeschlossen.»
Diese Blamage änderte aber nichts an Marx‘ Gewohnheit, alles Schlechte in der Welt dem Kapitalismus zuzuschreiben. Bald nach seinem Ausschluss aus der Kommunistischen Partei schrieb Marx im Zusammenhang mit dem Tod seines kleinen Sohnes: «Dazu der Gedanke, dass das arme Kind ein Opfer der bürgerlichen Misere gewesen ist, obgleich es ihm speziell an keiner Pflege gefehlt hat.» Marx fühlte nicht das Tragikomische an dieser Bemerkung.
Die proletarische Solidarität!
«Proletarier aller Länder, vereinigt euch!» – dieser flammende Aufruf von Marx und Engels ist zur Parole aller kommunistischen Parteien geworden. Der Parole folgt der Slogan der «proletarischen Solidarität». Wie wurde sie von Marx geübt, wenn schon nicht gegenüber dem Proletariat, so zumindest gegenüber ihren Gesinnungsgenossen, den revolutionären Sozialisten?
Als der bekannteste Kampfgefährte der Begründer des Marxismus gilt Wilhelm Liebknecht. «Die große sowjetische Enzyklopädie» charakterisiert ihn als «einen der eifrigsten Propagandisten der revolutionären Ideen der I. Internationale.» Und wie schreibt Marx über ihn? «Liebknecht hat das Talent, die dümmsten Leute von Deutschland um sich zu gruppieren» … «Liebknecht hat das Glück der Dummheit.» … «Der Liebknecht wird immer dummer» wiederholt Engels: Und so zieht es sich durch dieses Klassiker-Duett. Engels: «Wilhelmchen scheint mir seinen Hang zur Dummheiten wieder nicht bekämpfen gekonnt zu haben.» Die Begründer des Marxismus äußern sich über Liebknecht wie Adlige über ihren Lakaien: «Mit Monsieur Wilhelm ist es nicht mehr zum Aushalten. … Dieses Vieh, das jahrelang auf dem lächerlichen Gegensatz von Recht und Macht hülflos herumgeritten wie ein Infanterist, den man auf ein kolleriges Pferd gesetzt und in der Reiterbahn eingeschlossen hat – dieser Ignorant hat die Unverschämtheit …»
Im ähnlichen, wenn nicht noch schrilleren Tonfall schrieb Marx über Freiligrath, seinen treuen Helfer in der Internationalen. Schon wegen Kleinigkeiten, zum Beispiel der fehlenden Posteingangsanzeige, geriet Marx in helle Empörung über seine Untergebenen: «Am elendsten benimmt sich der Philisterwanst Freiligrath. Ich hatte ihm das Zirkular geschickt. Er zeigte nicht einmal den Empfang an. Glaubt das Vieh, dass, wenn ich will, ich ihn nicht bis über die Augenbrauen in den Schwefelpfuhl eintauchen kann? Vergisst er, dass ich über 100 Briefe von ihm besitzte?» Noch schlimmer war es mit Ferdinand Lassalle, dessen Erfolge Marx mit kochendem Neid beobachtete. Der Reichtum, in dem Lassalle dank seiner Lebensgefährtin, der Gräfin Hatzfeldt, lebte, rief bei den Begründern der marxistischen Lehre eine fast pathologische Wut hervor. Gerade am Beispiel Lassales wird man mit einem unerwarteten Aspekt der Mentalität von Marx und Engels konfrontiert – mit ihrem Antisemitismus.
Bekanntlich waren die Ahnen von Marx‘ Vater und Mutter in mehreren Generationen Rabbiner; diese ununterbrochene Linie kann man im Falle des Vaters seit dem 17. Jahrhundert lückenlos verfolgen. Aber Karl Marx fühlte keine Gemeinsamkeit mit seinem Volk. Er und Engels schrieben über die Juden in einem solchen Ton, dass man Hemmungen bekommt, diese Briefe zu zitieren. Bringen wir dennoch einige Kostproben.
Marx: «Der jüdische Nigger Lassale, der glücklicherweise Ende dieser Woche abreist, hat glücklich wieder 5000 Taler in einer falschen Spekulation verloren … Dabei geht er von der Ansicht aus, dass er als jüdischer Baron oder baronisiert (wahrscheinlich durch die Gräfin) Jude leben muss … Es ist mir jetzt völlig klar, dass er, wie auch seine Kopfbildung und sein Haarwuchs beweist, von den Negern abstammt, die sich dem Zug des Moses aus Ägypten anschlossen (wenn nicht seine Mutter oder Großmutter von väterlicher Seite sich mit einem Nigger kreuzten). Nun, diese Verbindung von Judentum und Germanentum mit der negerhaften Grundsubstanz müssen ein sonderbares Produkt hervorbringen. Die Zudringlichkeit des Burschen ist auch niggerhaft.» Nicht anders schreibt Engels über Lassalle: «…als echter Jud von der slawischen Grenze war er immer auf dem Sprunge, unter Parteivorwänden jeden für seine Privatzwecke zu exploitieren. Dann diese Sucht, … den schmierigen Breslauer Jud mit allerhand Pomade und Schminke zu übertünchen.»
Antisemitische Äußerungen findet man bereits in der Neuen Rheinischen Zeitung aus der Zeit, als der junge Marx ihr Chefredakteur war und auch Engels war kein Engel. Die Wiener Literaten bezeichnete er als «lauter in allen Wasser gewaschene Juden.» Ebenso nationalistische Äußerungen: «Ich bin mehrere Male in Versuchung gewesen, stolz darauf zu werden, dass ich wenigsten kein Däne oder gar Isländer, sondern nur ein Deutscher bin.» Der Rassismus der Begründer erstreckte sich übrigens auf ihre Einstellung nicht nur zu den Schwarzen, sondern auch zu den Slawen. In ihrer Privatkorrespondenz machten Marx und Engls kein Hehl aus ihrer Geringschätzung der Russen. So schreibt Engels über einen russischen Emigranten in England: «Er ist durch und durch Slawe, sentimental in der Frivolität und sogar in der Schweinerei, kriecherisch und hochmütig … Er ist ni plus ni moins als ein kleiner russischer Bürger mit den Gelüsten des russischen Adels, faul, dilettantisch, weichherzig, blasiert tuend.»
Marx war voller Enthusiasmus nach dem Erscheinen des Buches von Pierre Tremaux (1865) der die Entwicklung der Lebewesen, einschließlich der Menschen, auf die Einwirkung der Erdformation und dadurch des Bodens zurückführte. Diese «Blut-und-Boden» Theorie schien dem Begründer des Marxismus «in der geschichtlichen und politischen Anwendung viel bedeutender und reichhaltiger als Darwin.» Entzückte sich Marx. Tremaux behauptete nämlich «dass auf der in Russland vorherrschenden Bodenformation sich der Slaw tartarisiert und mongolisiert, wie er (er war lange in Afrika) nachweist, dass der gemeine Negertyp nur Degenereszenz eines viel höhern ist.»
Der Rassismus von Marx und Engels fand nicht nur in ihrem Briefwechsel seinen Niederschlag. Man stößt auf ihn auch in ihren Werken, zum Beispiel in Marx’s Artikel «Zur Judenfrage» Hier prägte er die Formel: «Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum.» Eine «Endlösung» ? In der Literatur erörtert man die Frage, ob Hitler seine antisemitischen «Argumente» diesem Artikel entnommen hatte. Bekanntlich las Hitler die Werke von Marx im Landsberger Gefängnis 1924. In einer Rede in München am 15. August 1920 zum Thema, warum die Nationalsozialisten Antisemiten seien, behauptete ihr Führer, seine antisemitische Argumentation stamme von «einem Juden» – meinte er Marx?
«Die Weiber bedürfen offenbar stets der Vormundschaft»
Diese deutliche Einstellung zur Frauenemanzipation war bei Marx und Engels nicht neu. Im «Manifest der Kommunistischen Partei» proklamierten sie sämtliche Frauen zum Kollektivbesitz, so als ob es sich um eine Kollektivierung einer Viehherde handelte. Überhaupt zeichnete sich Marx nicht durch Treue zu seiner Frau aus. Sein unromantischer Adulter mit der Hausgehilfin der Familie, Helene Demuth, neun Jahre jünger als Jenny von Westphalen, ist peinlich banal. Als Frucht des Verhältnisses kam ein Sohn zur Welt – Frederick. Der Urheber des wissenschaftlichen Kommunismus tat das, wofür man im real existierender Sozialismus real einen Kommunisten aus der Partei verjagt: Marx erkannte das Kind nicht an, und noch mehr – er überredete Engels, sich statt seiner als illegitimer Vater zu deklarieren. Erst auf seinem Sterbebett gab Engels zu – schriftlich, weil er wegen Kehlkopfkrebses nicht mehr sprechen konnte – dass Fredericks Vater Marx war. Vom gleichen Standpunkt betrachtet Marx sogar seine eigene Mutter: «Mit meiner Alten ist, wie sich noch einmal in Trier bewährt, nichts zu machen, bis ich ihr direkt auf dem Hals sitze.» Deshalb besuchte er ab und zu seine Mutter – stets, um Geld von ihr zu bekommen. Nur Geld ist von Interesse, der Zustand der greisen Mutter nicht. Beunruhigt ist der Sohn nur dadurch, dass die «Erbschaftsverhinderin» noch lebte. Im berüchtigten Brief über Marys Tod bemerkt Marx makaber: «Hätte nicht statt der Mary meine Mutter, die ohnehin jetzt voll körperlicher Gebresten und ihr Leben gehörig ausgelebt hat, …? Du siehst, zu welchen sonderbaren Einfällen die ‚Zivilisierten‘ unter dem Druck gewisser Umstände kommen.» Die «Umstände» sind stets die gleichen – der «zivilisierte» Marx braucht Geld.
Karl Marx, Friedrich Engels: Gesamtausgabe (MEGA) III Abt. Briefwechsel BD 1-4, Berlin 1984.
Michael S. Voslensky: Sterbliche Götter – Die Lehrmeister der Nomenklatur Taschenbuch, Berlin 1991.
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